Die Apotheker haben auch ihren zweiten Musterprozess zum Kassenabschlag verloren. Das Sozialgericht Berlin wies die Klagen eines Apothekers zurück, der von sieben Kassen den kompletten Zwangsrabatt für das Jahr 2009 zurückfordert. Hintergrund ist die vermeintlich verspätete Zahlung der Kassen nach dem Schiedsverfahren. Der Musterprozess wird jetzt vor dem Bundessozialgericht (BSG) fortgesetzt.
Der Apotheker aus Berlin klagt auf Rückzahlung von rund 78.000 Euro und stellvertretend für etliche Kollegen – insgesamt 946 Klagen sind in dem Musterprozess zusammengefasst. Aus Sicht der Apotheker haben die Kassen keinen Anspruch auf den Kassenabschlag für das Jahr 2009. Dieser wird nämlich nur fällig, wenn die Kassen ihre Rechnungen binnen zehn Tagen bezahlen.
Diese Frist sollen die Kassen überschritten haben, als der Abschlag für 2009 angepasst wurde. Die Schiedsstelle hatte den Zwangsrabatt damals von 2,30 auf 1,75 Euro gesenkt. Die Sache ging vor Gericht, das Landessozialgericht Düsseldorf ordnete im Mai 2010 die sofortige Vollziehung des Schiedsspruchs an. Die Apotheker stellten ihre Forderungen und die Kassen zahlten die Differenz aus – die meisten aber nicht innerhalb von zehn Tagen. Zum Teil forderten die Krankenkassen von den Rechenzentren weitere Daten.
Zwar gehen die Kassen beim Abschlag tatsächlich leer aus, wenn sie – etwa wegen unberechtigter Retaxationen – zu spät zahlen, dies galt laut dem Sozialgericht Berlin aber nicht für die Rückabwicklung des Kassenabschlags: „Die Nachberechnung des Vergütungsanspruchs durch nachträgliche Änderung der Rabatthöhe stellt einen nicht im Gesetz geregelten Sonderfall der Vergütungsabrechnung dar“, heißt es in der jetzt vorliegenden Begründung des Urteils vom 10. November.
Aus Sicht des Sozialgerichts bestünde eine „unausgewogene Risikoverteilung, wenn jede Abrechnungskorrektur der Zehntagesfrist unterfallen würde. „Denn die Krankenkassen müssten individuelle Nachberechnungen der Apotheker entweder zunächst ungeprüft begleichen oder unzumutbaren Verwaltungsaufwand zur Nachprüfungen der Rechnungen stellen“, heißt es im Urteil.
Mit der Umsetzung des Schiedsspruchs habe sich allein die Höhe des Rabatts geändert. „Das Gegenseitigkeitsverhältnis des Rabatts als Skontoabrede war nicht erfüllt“, so die Richter. Daher könne eine womöglich verspätete Zahlung nicht den Wegfall des gesamten Rabatts zur Folge haben. Die Zehntagesfrist bezieht sich laut Gericht zudem auf einen Abrechnungsmonat und nicht – wie in diesem Fall – auf ein komplettes Jahr.
Die einschlägigen Paragraphen im Sozialgesetzbuch regeln laut dem Sozialgericht den Standardfall der Vergütungsabrechnung: „Der Apothekenrabatt als – geringfügige – Kürzung des gesetzlichen Vergütungsanspruchs des Apothekers gegen die Krankenkasse erhält durch die Bindung an die Zehntagesfrist nach Rechnungseingang den Charakter eines Skontos für die alsbaldige Zahlung.“
Weil die Rückabwicklung – die Kassen mussten 55 Cent pro Packung zurückzahlen – aus Sicht der Richter ein Sonderfall war, beschäftigten sie sich nicht weiter mit den Einzelheiten des Falls. Es könne dahinstehen, ob schon die ersten Forderungen der Apotheker im Mai die Zehntagesfrist ausgelöst hätten oder erst die auf Wunsch der Kassen präzisierten Nachforderungen im Juli oder August. Es bedurfte aus Sicht der Richter gar nicht der Klärung, ob die Zahlungen fristgerecht erfolgten oder nicht.
Überraschend ist das Urteil nicht. Das Sozialgericht Berlin hatte im September 2012 schon einmal in dieser Sache entschieden. Die Klage eines einzelnen Apothekers wurde abgewiesen und liegt derzeit beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. In seinem aktuellen Urteil schreibt das Sozialgericht Berlin seine Urteilsgründe teilweise wörtlich von sich selbst ab.
Der Musterprozess wird das frühere Verfahren aber überholen: Auf Antrag des klagenden Apothekers ließen die Richter Sprungrevision zum BSG zu. Die Kasseler Richter müssen nun darüber entscheiden, ob den Kassen für 2009 Millionenrückzahlungen drohen, weil sie mit der Umsetzung des Schiedsspruchs zu lange gewartet haben.
Beim BSG liegt schon bereits ein weiterer Musterprozess in dieser Sache: Das Sozialgericht Aachen hatte im August ebenfalls gegen die Apotheker entschieden. Auch in diesem Verfahren wurde die Sprungrevision zugelassen.
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