Ausgerechnet in der heißesten Phase nicht nur des Sommers, sondern auch des Gesetzgebungsverfahrens zur Apothekenreform kann der Berufsstand keine negativen Schlagzeilen brauchen. Abgabe ohne Nachfrage? Verweigerung im Notdienst? Oder gar anthroposophische Augentropfen für ein Kind? All das gehört jetzt der Vergangenheit an. Zur Kontrolle ihrer Schäfchen setzen die Kammern nun einfach moderne Technik ein: Dank KI-gesteuerter Kameratechnik werden alle Apotheken lückenlos im Blick behalten.
Telepharmazie einfach mal neu gedacht. Tatsächlich war es niemand anderes als Karl Lauterbach (SPD), der die Kammern mit seinen Plänen auf die Idee gebracht hat: Warum soll nur der Apotheker seine PTA am Monitor überwachen? Das könnte man noch eine Ebene höher doch genauso gut.
Mit der neuen Überwachungstechnik – im internen Curriculum wohlwollend als „DiKawabe“ („Die Kammer weiß alles besser“) bezeichnet – wird ab sofort stichprobenartig kontrolliert, dass in den Apotheken alles korrekt abläuft. Denn bei der Bundesapothekerkammer (BAK) ist man zu der Auffassung gelangt, dass die Versorgung durch permanente Kontrolle weiter verbessert und vereinheitlicht werden kann. Statt mit Pflichtfortbildungen, Ringversuchen und Pseudo-Customer-Besuchen wird die Apotheke künftig mit einer Standschaltung beglückt.
Kameras in der Offizin filmen jeden Vorgang, eine KI wertet in Echtzeit aus, ob aus ihrer Sicht alles ordnungsgemäß abläuft. Lässt sich die Beratung verbessern, gibt es einen Hinweis im Kassensystem. Droht ein Fehler, fängt eine rote Lampe am HV-Tisch an zu leuchten. Und gerät das Personal ganz auf Abwege, wird ein lautes akustisches Alarmsignal ausgelöst, während alle Türen verschlossen und die Rolläden blitzartig heruntergefahren werden. Bis die Sache geklärt ist, darf niemand die Apotheke verlassen.
Zu jeder Abgabe oder auch Rezepturherstellung gibt es im Anschluss eine Evaluation: „Was hätten wir denn NOCH besser machen können?“, fragt die sympathische Frauenstimme. Und das Beste: Die KI lernt bei jedem Prozess dazu und kann ihren Vorsprung so immer weiter ausbauen.
Die BAK-Mitgliederversammlung hat einstimmig einen entsprechenden Beschluss gefällt, die Gremien des Deutschen Apothekerverbands (DAV) haben sich parallel bereit erklärt, eine neue Tochtergesellschaft für den Betrieb des audio-visuellen Daueraudits zu gründen. Zur Finanzierung der Qualitätsoffensive werden Kammer- und Verbandsbeiträge entsprechend angepasst – immerhin sind es ja die Apotheken selbst, die profitieren.
Freilich: Für die Teams im Handverkauf ist die Maßnahme nicht ganz so angenehm. Wer lässt sich schon gerne permanent über die Schulter schauen? Aber danach geht es nun mal nicht. Persönliches Wohlbefinden muss zum Wohle aller zurückgestellt werden.
Auslöser für dieses (ausgedachte) Szenario war übrigens ein (echter) Fall aus Hessen, wo sich eine Homöopathiegegnerin darüber echauffiert hatte, dass man ihr Euphrasia-Augentropfen empfohlen hatte. Es folgte eine Anzeige bei der Abda, die die Sache „gerne“ an die Landesapothekerkammer weiterleitete. Und dort leitete der Vorstand sehr beflissen ein Berufsverfahren ein – das nach entsprechender Replik der Inhaberin prompt wieder eingestellt wurde.
Die Apothekerin ärgert sich bis heute darüber, dass man sich in solchen offensichtlichen Streitfällen mit der Kundschaft offenbar nicht auf die Unterstützung der Standesvertretung verlassen könne. Und auch unter den Kolleginnen und Kollegen gibt es eine Welle der Empörung.
Dabei müssten sich Basis und Standesvertretung gerade geschlossener denn je zeigen. Gemeinsam müsste weiter gegen die Apothekenreform getrommelt werden, gemeinsam müssten konstruktive Gegenvorschläge erarbeitet werden. Doch von der Abda kommt nicht viel, die eigenhändig organisierten Proteste in Mitteldeutschland lassen an Teilnahmebereitschaft noch zu wünschen übrig, selbst in den eigenen Reihen in Thüringen und Sachsen ist die bisher zugesagte Unterstützung zum Protest noch gering.
Die Apothekenreform hat es zumindest wieder nicht ins Kabinett geschafft, die Abda verbucht das direkt auf der eigenen Erfolgsseite. Lauterbach hat indessen einmal mehr bewiesen, dass man nicht mit ihm reden kann. Wie das BMG mit dem erneuten Aufschub umgeht, bleibt noch abzuwarten; ein neuer Termin wurde jedenfalls nicht direkt kommuniziert. Vielleicht behält Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening ja Recht und das BMG beweist nun Größe und streicht die Apotheke ohne Approbierte – manche nennen es Größe, andere Vernunft – aussichtsreich ist diese Hoffnung aber nicht. Immerhin scheint der Apothekerschaft der politische Rückhalt beim Widerstand gegen die Reform aus verschiedenen Richtungen auch nach einem Kabinettsbeschluss sicher.
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