Jede Apotheke darf Rezepte sammeln Alexander Müller, 23.04.2020 14:17 Uhr
Apotheken dürfen in ihrem Umfeld Rezeptsammelboxen einrichten und mit ihrem eigenen Botendienst beliefern. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) soeben entschieden und damit der Klage einer Apothekerin gegen ihre Aufsichtsbehörde stattgegeben. Der Versandhandel mit Arzneimitteln umfasse auch das Einsammeln von Rezepten und Botenauslieferungen im Einzugsbereich der Präsenzapotheke, teilte das Gericht mit.
Im Dezember 2014 hatte Dr. Kerstin Boje-Petzokat, Inhaberin der Pinguin-Apotheke in Herne, die Rezeptsammelbox in einem Edeka-Supermarkt in Herne installiert. Mit einem zwei Meter großen Aufsteller im Eingangsbereich des Marktes wollte sie Rezepte einzusammeln, die die Kunden zusammen mit einem ausgefüllten Bestellschein in einen Umschlag stecken und in den angebrachten Briefkasten werfen konnten.
Zunächst gab es Ärger mit einer Konkurrentin, dann schritt auch die Aufsichtsbehörde ein. Aus ihrer Sicht handelte es sich um eine nicht genehmigten Rezeptsammelstelle in einem Gewerbebetrieb. Gegen die im Oktober 2015 erlassene Ordnungsverfügung klagte die Apothekerin. Nach ihrer Auffassung handelt es sich um eine „erlaubnisfreie Pick-up-Stelle“, die sie im Wege des Versandhandels betreibe. Weder vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch vor dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) hatte sie Erfolg.
Doch vor dem BVerwG konnte sich Boje-Petzokat heute durchsetzen: Die Leipziger Richter haben der Revision der Klägerin statt und hoben die Ordnungsverfügung auf. „Die von der Klägerin betriebene Einrichtung zum Sammeln von Rezepten und Bestellungen von Arzneimitteln ist von ihrer Versandhandelserlaubnis umfasst“, heißt es in einer Mitteilung des Gerichts. Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor.
Die Vorschriften des Apotheken- und des Arzneimittelrechts über den Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln schließen laut BverwG eine Zustellung durch eigene Boten der Apotheke weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Regelungszweck aus. „Dem Begriff des Versandhandels unterfällt auch ein Vertriebsmodell, das auf einen Versand im örtlichen Einzugsbereich der Apotheke ausgerichtet ist und hierfür eigene Boten der Apotheke einsetzt. Die Arzneimittelsicherheit ist nicht mehr gefährdet als beim Versand über größere Entfernungen mittels externer Versanddienstleister“, teilt das Gericht mit. Dass eine Zulassung dieses Vertriebsmodells zu einem signifikanten Rückgang der Apothekendichte und einer Gefährdung der Arzneimittelversorgung führen könnte, sei ebenfalls nicht ersichtlich.
Damit endet für Boje-Petzokat eine juristische Odyssee. Zunächst wurde sie von einer konkurrierenden Apothekerin verklagt. Das Oberlandesgericht Hamm (OLG) untersagte den Service bereits im Jahr 2015. Doch nach einer Anpassung hatten die Richter – in einem späteren Ordnungsgeldverfahren – kein Problem mehr mit dem Modell. Die Kunden konnten seitdem zwischen der Lieferung durch den Botendienst der Pinguin-Apotheke und Versand durch einen externen Dienstleister wählen. Der Botendienst war nur innerhalb des Stadtgebietes möglich und gratis, die Option Versand dagegen kostenpflichtig und ausschließlich für Bestellungen außerhalb des Stadtgebietes.
Doch zwischenzeitlich hatte sich auch die Aufsichtsbehörde eingeschaltet. Anders als das OLG ließ sich die Aufsichtsbehörde auch vom neuen Konzept nicht umstimmen. Ihre Klage begründete Boje-Petzokat unter anderem damit, dass der Begriff Pick-up-Stelle weit auszulegen sei. Die Medikamente müssten nicht zwangsläufig auch dort abgeholt werden. Auch sei im Versandhandel die Lieferung über einen externen Dienstleister keine zwingende Voraussetzung. Das Gesetz regele nur die Kriterien für die Logistiker, schreibe deren Nutzung aber nicht vor.
Das Verwaltungsgericht sah das anders. Es teilte die Einschätzung der Aufsichtsbehörde, dass es sich um eine Rezeptsammelstelle handele, die nicht genehmigt sei. Es bestehe in Herne auch kein Anspruch darauf, schon gar nicht in einem Supermarkt. Außerdem sei der Bereich hinter den Kassen auch keine öffentliche Verkehrsfläche, sondern Teil des Edeka-Marktes. Entscheidend war dabei für die Richter der „tatsächlich praktizierte Vertriebsweg des Versandhandels“, nicht die Versanderlaubnis der Apotheke. Typisch für den Versand sei, dass sich Kunde und Apotheker nicht persönlich begegneten und der Kundenkreis nicht örtlich abgegrenzt sei. „Das persönliche Einsammeln von Rezepten durch den Apotheker beziehungsweise sein Personal ist dagegen untypisch“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Auch in der zweiten Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) hatte die Apothekerin keinen Erfolg. Die Ordnungsverfügung nicht zu beanstanden sei. Die Sammelbox verstoße gegen apothekenrechtliche Vorschriften, weil die Klägerin keine Erlaubnis für den Betrieb einer Rezeptsammelstelle besitze und sie eine solche Erlaubnis auch nicht beanspruchen könne. Der Betrieb der Sammelbox sei ihr auch nicht aufgrund ihrer Versandhandelserlaubnis erlaubt. Bei wertender Gesamtbetrachtung stelle sich das Vertriebsmodell nicht als Versandhandel dar, sondern als Umgehung der Vorgaben des § 24 ApBetrO. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Urteile nunmehr aufgehoben.