Das Kaiserreich, die Weimarer Republik, das Dritte Reich, das geteilte Berlin – die Systeme wechselten, Wissmann’s Apotheke blieb. Bis ein italienischer Investmentfonds das Haus, in dem sich die Apotheke befand, kaufte. Die Investoren haben Apothekerin Carola Minarek eine Vertragsverlängerung von nur einem Jahr angeboten, und das auch noch verbunden mit einer saftigen Mieterhöhung. Die 67-Jährige verzichtete und schloss die Apotheke.
Seit dem 23. Dezember ist die Wissmann’s Apotheke, die auf eine 127-jährige Geschichte zurückblicken kann, selbst Geschichte. Wie das Portal MoabitOnline berichtet, wurde Minarek gekündigt, nachdem ein italienischer Investmentfonds das Eckhaus, das die Apotheke und Mietwohnungen beherbergt, gekauft hatte. 36 Jahre hat Minarek die Apotheke geführt, trotzdem sei ihr nur eine Vertragsverlängerung von nur einem Jahr angeboten worden. Zudem sollen die Investoren eine deutlich höhere Miete verlangt haben, die für die Apothekerin offenbar nicht zu stemmen war.
„Nach monatelanger Verhandlung wurde mir ein Jahr Vertragsverlängerung angeboten“, berichtete Minarek, die trotz ihres Alters noch nicht an die Geschäftsaufgabe dachte. „Aber ein ganzes Jahr langsam sterben, das wollte ich doch lieber nicht.“ Eigentlich hatte sie geplant, ihre Apotheke irgendwann einmal zu verkaufen. Doch das war mit einem Einjahresmietvertrag vollkommen unrealistisch.
Bei dem Abschiedsfest sollen viele Kunden den Niedergang des Kiezes beklagt haben. Und auch Minarek sieht dem Bericht zufolge die Politik in der Pflicht, die „Zerstörung der kleinen Kieze“ zu stoppen. Neben der Wissmann’s Apotheke seien bereits drei weitere benachbarte Läden der Gentrifizierung erlegen: ein Eisladen, ein Späti und eine Galerie.
Denn die Ecke im Berliner Stadtteil Moabit wird bei Investoren immer beliebter. Kein Wunder, liegt doch beispielsweise das Haus, in dem die Apotheke untergebracht war, nur etwa 300 Meter vom Spreeufer entfernt. Hier beginnt außerdem der über 200 Hektar große Berliner Tiergarten. Auch das Schloss Bellevue, Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten, befindet sich keine 500 Meter entfernt. Infrastruktur und Verkehrsanbindung sind ebenfalls hervorragend, nach knapp einem Kilometer steht man vor dem Berliner Hauptbahnhof.
Die Konsequenz: Die Mieten steigen. „Früher hatten wir einen Edeka-Laden, eine Schlecker-Drogerie, einen guten Bäcker, einen tollen Blumenladen – das ist alles weg“, zitiert MoabitOnline eine Kundin der Apotheke, die sich beim Abschiedsfest über die Entwicklung des Kiezes beschwerte. „Ich weiß gar nicht, wo ich meine Medikamente holen soll, wenn hier zu ist. Auch die Apotheke in der Rathenower Straße ist schon länger geschlossen. Unser Kiez geht vollkommen kaputt.“ Auch Wohnungsmieten sollen sich ihren Angaben nach in die Höhe geschossen sein. „Neue Mieter bei mir im Haus zahlen schon viel mehr als das Doppelte“, kritisierte sie.
Die meisten Geschäftsinhaber können solche Mieten nicht aufbringen. Es sei nie einfach an dieser Ecke gewesen, berichtete auch die Apothekerin. Zwar ist im Haus eine Arztpraxis, aber Laufkundschaft gebe es kaum. „Da muss man sich eine Nische schaffen, ich wollte immer lieferfähig sein“, sagte Minarek. Deshalb habe die Apothekerin viel Geld in ein großes Warenlager investiert. „Oft kamen Kunden vorbei, die zuvor schon in vier oder fünf Apotheken waren, wo das Medikament hätte bestellt werden müssen. Ich wurde dafür bekannt, dass ich vieles am Lager habe.“
Die Apotheke war Minareks Lebenswerk. Bis kurz vor der Geburt ihrer Tochter soll sie hinter dem HV-Tisch gestanden haben, und wenige Wochen danach schon wieder. Dennoch blickt sie ohne Bitterkeit zurück: „Ich bin sehr froh, dass alle meine Angestellten eine neue Arbeit gefunden haben.“ Noch nicht geklärt ist, was mit der original erhaltenen, mehr als 100 Jahre alten, Einrichtung passiert. Denn sie steht immer noch, leer geräumt, in den alten Räumlichkeiten.
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