Betriebsprüfer als Korruptionsjäger Alexander Müller, 06.04.2016 11:31 Uhr
Die Große Koalition will das Anti-Korruptionsgesetz jetzt schnell über die Bühne bringen. Schon in der kommenden Woche könnte das Vorhaben den Bundestag passieren. APOTHEKE ADHOC sprach mit dem Rechtsanwalt Dr. Oliver Pragal von der Kanzlei Meyer-Lohkamp & Pragal über die kurzfristig vorgenommenen Änderungen und die Bedeutung für die Apotheken. Pragal findet, dass die Bedeutung der Betriebsprüfer für die Strafverfolgung in der Debatte bislang zu wenig bedacht wurde.
ADHOC: Abgabe und Bezug von Arzneimitteln in Apotheken werden im Anti-Korruptionsgesetz ausgeklammert. Sind die Apotheker damit komplett draußen?
PRAGAL: Die Vorschrift erfasst als Täter immer noch die Apotheker. Aber die Einschränkung der Tathandlung auf den Bezug von Arzneimitteln, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung durch den (nicht: „einen“) Heilberufsangehörigen bestimmt sind, wirft in der Tat die Frage auf, ob damit die Norm auf den Arzneimittelbezug durch Ärzte beschränkt werden sollte. Der im Strafrecht so wichtige Wortlaut spricht dafür, auch wenn es dem erklärten Sinn und Zweck der Norm einer umfassenden Kontrolle der Korruption im Gesundheitswesen nach der Gesetzesbegründung ersichtlich zuwider läuft.
ADHOC: Sind in puncto Großhandelskonditionen oder Rabatten im Direktbezug überhaupt noch strafrechtliche Grenzen gesetzt?
PRAGAL: Nach dem zuvor Gesagten dürfte der neue Strafrechtsparagraf jedenfalls nicht einschlägig sein. Es verbleibt damit insbesondere bei den bekannten Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) und des Arzneimittelgesetzes (AMG). Ferner kann die unterlassene Weitergabe von Rabatten in Sonderfällen auch den Betrugstatbestand verwirklichen.
ADHOC: In welchen Fällen machen sich Apotheker künftig strafbar?
PRAGAL: Da der Bezug von Arzneimitteln komplett ausgeklammert und auch die Abgabe derselben gestrichen worden ist, kann ich mir jedenfalls beim Arzneimitteleinkauf in der Tat kaum einen praktischen Fall vorstellen. Denn zum Beispiel die Substitution eines wirkstoffgleichen Präparates ist ja keine „Verordnung“ durch den Apotheker, sondern schlicht eine – jetzt im Gesetz gestrichene – „Abgabe“. Ein mögliche Strafbarkeit von Apothekern bleibt allerdings bei der Rezeptzuweisung. Bietet oder gewährt der Apotheker einem Arzt Vorteile, damit dieser seine Patienten in die Apotheke schickt, fällt das unter das Anti-Korruptionsgesetz.
ADHOC: Staatsanwälte können auch ohne Strafantrag aktiv werden. Ist das eine echte Verschärfung?
PRAGAL: Ich habe das Strafantragserfordernis bei den Korruptionsdelikten immer als systemfremd kritisiert. Dennoch wird es in der Praxis durch die Änderung nicht mehr Verfolgung geben, da auch mit dem Antragserfordernis das „besondere öffentliche Interesse“ bejaht worden wäre. Es wurde allerdings bisher viel zu wenig davor gewarnt, dass auch der Betriebsprüfer des Finanzamtes eine strafrechtliche Ermittlung auslösen kann.
ADHOC: Wie das?
PRAGAL: Gezahlte Bestechungsgelder können gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 10 Einkommenssteuergesetz (ESTG) nicht als Aufwendung von der Steuer abgesetzt werden. Fallen solche Zahlungen bei einer Betriebsprüfung auf, ist der Finanzbeamte zur Mitteilung an die Staatsanwaltschaft verpflichtet. Ein Steuergeheimnis gibt es insoweit nicht. Der Betriebsprüfer wird gewissermaßen zum Ermittlungsgehilfen der Strafverfolgungsbehörden. Das könnte insbesondere Pharmakonzerne betreffen, die Ärzte schmieren; ebenso Krankenhäuser, die mit als Honorararztvergütung camouflierten Kopfprämien niedergelassene Ärzte bestechen. Es steht daher zu vermuten, dass die Betriebsprüfer entsprechend geschult werden und zum Beispiel zukünftig Nachfragen zu Kooperationsverträgen stellen.
ADHOC: Das Berufsrecht wird aus dem Anti-Korruptionsgesetz gestrichen. Gut so?
PRAGAL: Ich bewerte dies als einen Gewinn an Bestimmtheit und damit Rechtsstaatlichkeit. Die vorherige Tatbestandsvariante Nr. 2 [Anbindung an das Berufsrecht, Anm. d. Red.] hätte schwierige Abgrenzungsprobleme und vor allem die Gefahr einer „Zersplitterung“ in Abhängigkeit von länderspezifischen Berufsordnungen mit sich gebracht.
ADHOC: Dieser Passus war fast einhellig kritisiert worden. Wieso stand er überhaupt im Entwurf?
PRAGAL: Laut der Entwurfsbegründung ging es um Bestechungen bei Monopolsituationen und medizinisch nicht gebotenen Verordnungen. Abgesehen davon, dass dies motivisch betrachtet wenig praxisrelevante Situationen für Korruption sein dürften, steckte hinter dieser Tatbestandsvariante wohl der Versuch der Angleichung an die soeben beim allgemeinen Korruptionsstrafparagrafen § 299 StGB eingeführte zusätzliche Variante der Pflichtverletzung gegenüber dem Geschäftsherrn. Dieses sogenannte „Geschäftsherrnmodell“ hatte europarechtliche Hintergründe, die aber für das Gesundheitswesen nicht einschlägig sind. Kurz gesagt: Diese Tatbestandsvariante war von vornherein überflüssig und schädlich.
ADHOC: Wie erklären Sie sich die noch relativ spät erfolgten Anpassungen?
PRAGAL: Darüber kann ich nur mutmaßen. Es fällt aber schon auf, dass diese sehr weitreichenden Anpassungen offensichtlich mit relativ heißer Nadel gestrickt wurden. Ein Schelm, der Böses dabei denkt…
Rechtsanwalt Dr. Oliver Pragal ist Gründungspartner der Sozietät Meyer-Lohkamp & Pragal und Fachanwalt für Strafrecht in Hamburg. Nach dem Studium an der Christian Albrechts Universität in Kiel und dem Masterstudiengang mit Schwerpunkt „Criminal Law“ an der University of Cape Town (South Africa) arbeitete er unter anderem als Rechtsreferendar bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht. Seine Kanzlei gründete er 2008, seit 2010 als Meyer-Lohkamp & Pragal. Ein Schwerpunkt stellt das Korruptionsstrafrecht dar. Seine Promotion verfasste Pragal über Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) an der Bucerius Law School (Hamburg). Er ist als Strafverteidiger und strafrechtlicher Berater von Unternehmen tätig. Pragal ist zudem Ombudsmann für Hinweisgeber für verschiedene Unternehmen.