Lieferengpässe und Umschulungen

Insulin-Aus: „Betreuung der Diabetiker wird an uns hängenbleiben“

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Berlin -

Von dem Aus etlicher Humaninsuline sind etwa 10 Prozent der insulintherapierten Patient:innen betroffen. Sanofi hat seine Humaninsuline bereits schrittweise vom deutschen Markt genommen, Novo Nordisk will ab dem zweiten Quartal 2025 stufenweise nachziehen. Das bedeutet für etliche Diabetiker:innen eine drastische Umstellung, denn nach den Marktrücknahmen stehen nur noch Produkte von Lilly zur Verfügung. „Es muss zwar keine Dosisumstellung erfolgen, aber eine intensive Schulung zur Nutzung der neuen Pens. Die Betreuung der Diabetiker bleibt an uns hängen“, so Dominik Herzog, Inhaber der Herzog-Apotheke in Neckargemünd.

Im Herbst hatte Novo Nordisk bereits Ärzt:innen über eine „Angebotsanpassung“ informiert. Konkret: Levemir (Insulin detemir) und die Humaninsuline Actrapid, Actraphane und Protaphane werden nach und nach bis Ende 2026 in Deutschland aus dem Sortiment verschwinden. Die Humaninsuline von Sanofi sind seit 2023 nicht mehr erhältlich. Das führt zu Unsicherheiten bei Diabetiker:innen, die in der Apotheke vor Ort abgefedert werden müssen.

Zu den Stammkunden und Stammkundinnen Herzogs zählen auch etliche insulinpflichtige Patienten. Das Aus der Humaninsuline von Sanofi und Novo Nordisk sieht er kritisch: „Im Grunde müsste man sich noch mit den betroffenen Humaninsulinen bevorraten, aber das ist schwierig“, erklärt er. Denn: „Auf der einen Seite muss man an die Haltbarkeit denken, auf der anderen an das Lagerhaltungsrisiko. Ich möchte auch den Kühlschrank nicht so voll packen mit Insulinen“, so Herzog.

Er befürchtet einen sogenannten Run auf die Präparate von Lilly. „Wenn das dann der einzige Hersteller ist, der noch Humaninsuline liefert, wird die Nachfrage enorm groß sein, es wird wahrscheinlich zu Lieferengpässen kommen.“ Und nicht nur das: „Die Menschen, insbesondere ältere Diabetiker, müssen intensiv geschult werden, damit der Umgang mit dem neuen Pen auch klappt“, gibt er zu bedenken. „Das bleibt natürlich an den Apotheken hängen. Meiner Meinung nach gehört dieses Thema auch zu den pharmazeutischen Dienstleistungen und sollte entsprechend vergütet werden“, so Herzog.

Forderung an die Politik, einzugreifen

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) haben bereits auf das Problem hingewiesen. In einem gemeinsamen Statement warnen sie vor den Problemen, die ein Marktrückzug der Humaninsuline mit sich bringt. „One size fits all“ gebe es bei der Diabetes-Behandlung nicht.

Die Politik müsse jetzt handeln: „Es müssen rechtzeitig Vorkehrungen getroffen werden, dass die Entscheidung von Novo Nordisk revidiert oder durch eine öffentlich geförderte Produktion beispielsweise in Osteuropa und deren Import nach Deutschland die weitere Versorgung sichergestellt wird.“ Der politische Handlungsspielraum gegenüber der pharmazeutischen Industrie sei in einem solchen Fall eher begrenzt, dennoch gebe es Möglichkeiten, regulierend einzugreifen oder Incentives zu setzen. Ein Beispiel sei es, interessierte Hersteller in anderen Ländern durch Abnahmegarantien zu unterstützen.

DEGAM und AkdÄ weisen neben fehlenden Alternativen und Kostensteigerungen auf weitere Probleme hin, die ein Aus von Humaninsulinen mit sich bringen kann:

  • Schnell wirksame Insulinanaloga wirken für die Bedürfnisse von Menschen mit Typ-2-Diabetes oftmals zu kurz und fluten zu schnell an. Die Folge: eine ungenügende Diabetes-Einstellung wegen ausgeprägter Blutzuckerschwankungen.
  • Die Kombination aus kurz und mittelfristig wirkendem NPH-Insulin ist nicht mehr möglich. Betroffene müssten unnötigerweise mit einem langwirkenden Analog-Insulin behandelt werden.
  • Behandlungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 16. Juni 2022 wäre nicht umsetzbar. „Tagsüber wirksame Insuline sollten so lange wie möglich vermieden werden. Stattdessen sollte NPH-Insulin zur Nacht bevorzugt gegeben werden.“
  • Therapieumstellung bindet unnötig zeitliche Ressourcen und verunsichert die Betroffenen.
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