„Dann knallt es halt mal“

Insel-Apotheker zieht die Reißleine: Helgoland bereitet Notapotheke vor Laura Schulz, 08.07.2024 10:36 Uhr

Er will nicht mehr: 365 Tage Dienstbereitschaft gehen irgendwie, eine Selbstständigkeit im aktuellen Gesundheitssystem aber nicht mehr, findet Apotheker Carsten Hase, der mit seiner Frau die einzige Apotheke auf Helgoland betreibt. Foto: Insel-Apotheke
Berlin - 

365 Tage Notdienst im Jahr – in diese anstrengende Situation kommen nur die allerwenigsten Inhaber:innen. Einer von ihnen ist Carsten Hase, der seit März 2014 die einzige Apotheke auf Helgoland betreibt. Das macht er mit Leidenschaft, seine Frau unterstützt ihn dabei. Doch seit der Corona-Pandemie hat sich seine Einstellung zum Rund-um-die-Uhr-Dienst verändert. Der Entschluss, etwas zu ändern, fiel schon vor einigen Monaten: Hase will nicht mehr selbstständig sein. Doch was tun, wenn sich einfach niemand findet, der die Insel-Apotheke übernehmen will? Zum Jahresende wird Hase die Apotheke abgeben. Wenn nicht noch ein Wunder passiert, wird die Gemeinde wohl oder übel einspringen und die Apotheke als Notapotheke betreiben müssen.

Hase mag das Inselleben, all die Vorzüge haben lange schwerer gewogen als die Beeinträchtigungen, wenn man immer erreichbar sein muss. Warum jetzt nach fast elf Jahren Schluss sein wird? „Einfach, weil wir keine Lust mehr haben, in diesem Gesundheitssystem mit mangelnder Anerkennung, mangelnder Vertretung durch unsere Standesorganisation, mit den immer mehr querschießenden bürokratischen Hindernissen und Auflagen. Unter den Bedingungen wollen wir das einfach nicht mehr“, sagte er schon Ende des vergangenen Jahres.

Nachdem Hase da bereits unter anderem per Anzeige einen Käufer für die Apotheke gesucht hatte, meldeten sich tatsächlich einige Interessierte. „Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgeben“, sagte Hase im Frühjahr. Da war für ihn allerdings schon klar, dass die Uhr tickt. Doch er wollte die Insulaner versorgt wissen und hat dafür nun alles in die Wege geleitet – auch wenn er absolut nicht mehr will und sich auch kein:e Nachfolger:in findet. Der letzte Ausweg könnte jetzt eine sogenannte Notapotheke sein.

Ich will nicht mehr selbstständig sein in diesem Gesundheitssystem.

Carsten Hase, Inhaber der Insel-Apotheke Helgoland

„Der Entschluss, die Apotheke zu schließen, ist schon länger in meinem Kopf“, so Hase, der die Apotheke am liebsten weiterbetreiben würde. Aber das Thema der Inhaberschaft ist durch für den Apotheker. Die Leute auf Helgoland und die Touristen will er aber keineswegs im Stich lassen, weshalb er eine Lösung veranlasst hat. „Mit einem Käufer sieht es schlecht aus, daher wollte ich die Gemeinde in die Pflicht nehmen. Ich will nicht mehr selbstständig sein in diesem Gesundheitssystem.“

Den ersten Schritt hin zur Notapotheke hat Hase gemacht und eine Öffentliche Bekanntmachung verkündet nun seit dem 26. Juni, dass ein Apotheker oder eine Apothekerin für Helgoland dringend gesucht wird. Besteht dieser Notstand ein halbes Jahr, kann zum Jahreswechsel die Gemeinde einspringen und die Insel-Apotheke erst einmal als Notapotheke weiterbetreiben. Eine andere Notapotheke gibt es laut Abda derzeit nicht.

Seit Ende Juni verkündet das Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein (LAsD) von der Suche „nach einem Betreiber einer Apotheke auf Helgoland“. In Zusammenhang mit § 17 Apothekengesetz (ApoG) gibt die für die Erteilung von Apothekenbetriebserlaubnissen zuständige Behörde daher Folgendes bekannt: „Der jetzige Betreiber der Insel-Apotheke auf Helgoland wird zum 31. Dezember 2024 seinen Betrieb einstellen. Aus Sicht der Gemeinde ist eine Apotheke auf Helgoland unverzichtbar und die Gemeinde sieht mit der Schließung der Apotheke einen kritischen Notstand in der Arzneimittelversorgung. Daher wird zum 1. Januar 2025 ein Nachfolger gesucht. Die Insel-Apotheke ist die einzige Apotheke auf Helgoland und muss daher immer dienstbereit sein. Die Insel wird zudem von zahlreichen Gästen besucht, die kurzfristig Medikamente benötigen. Zum Versorgungsumfang gehört auch die Belieferung einer Klinik auf Helgoland.“ Interessenten können sich direkt per Mail an das LAsD wenden.

Light-Apotheke keine Lösung

1253 Einwohner:innen waren zu Ende 2023 auf Helgoland gemeldet, für sie ist die Insel-Apotheke die einzige Möglichkeit der Arzneimittelversorgung; zum Festland sind es einige Kilometer mit der Fähre. Hinzu kommen etwa 300.000 Tourist:innen jährlich, die vor allem in den wärmeren Monaten ebenfalls versorgt werden müssen.

Diesem doch teilweise großen Ansturm und auch der Rund-um-die-Uhr-Versorgung kann laut Hase auch nicht mit Lauterbachs neuen Plänen um Light-Apotheken begegnet werden. Bestrebungen in diese Richtung gibt es daher auch nicht: „Ich halte diese Lösung ohne Apotheker nicht für gut, daher favorisiere ich das natürlich nicht. Ich weiß nicht, ob man das als Zweigapotheke ohne Approbierte betreiben sollte“, meint Hase. „Dafür ist hier im Sommer definitiv zu viel los.“

Somit könnte nun bald die Gemeinde in der Pflicht sein, die Menschen zu versorgen. „Ob die das organisiert bekommen, das weiß ich nicht. Die Gemeinde hat kein Personal, das Landesamt auch nicht. Ich hoffe, dass es funktioniert.“ Für Hase ist jedenfalls klar, dass es wie bisher nicht weitergehen kann. Er hat inzwischen keine Lust mehr, sich als Inhaber in die Pflicht nehmen zu lassen. „Dann knallt es halt mal. Nein, wir sind jetzt an dem Punkt – es geht nicht mehr“, sagt Hase entschlossen.

Dann soll der Staat mal zusehen, wie er das hier auf die Reihe bekommt.

Carsten Hase

So viele Inhaber:innen opferten sich Tag für Tag auf, in seiner Situation verschärfe sich die Dienstbereitschaft bis ans Äußerste. „Und wenn man dann nur noch Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommt, dann hat man auch keine Lust mehr immer in die Bresche zu springen. Dann soll der Staat mal zusehen, wie er das hier auf die Reihe bekommt.“ Auf Helgoland gebe es nun mal keine Ausweichmöglichkeiten, „hier ist nichts mit mal zehn Kilometer weiter fahren“. Gerade aus dem Kollegenkreis bekommt Hase viel Rückhalt für seinen Schritt. „Ich hoffe, dass das auch mal jemand mitbekommt. Auch von der Abda.“

Von Seiten der Apothekerkammer wird eine Zweigapotheke nicht ausgeschlossen. Man sei mit der Aufsichtsbehörde im Austausch zur Situation auf Helgoland. „Die Erteilung einer Erlaubnis für den Betrieb einer Zweigapotheke ist durchaus eine Option“, so die Kammer. Auch das LAsD scheint den Fokus auf eine Zweigapotheke zu legen. Immerhin suche der Inhaber schon „seit einiger Zeit“ auf verschiedenen Wegen eine Nachfolgelösung, ein:e neue:r Inhaber:in werde also wohl kaum plötzlich auftauchen.

„Sollte infolge des Fehlens oder der Schließung einer Apotheke ein Notstand in der Arzneimittelversorgung drohen beziehungsweise eintreten, regelt § 16 Apothekengesetz (ApoG) die Voraussetzungen und die Vorgehensweise zur Erteilung einer Betriebserlaubnis für eine Zweigapotheke“, so das LAsD. „Diese kann dem Inhaber einer nahe gelegenen Apotheke auf Antrag und bei Erfüllung aller Voraussetzungen durch die zuständige Behörde erteilt werden.“

„Die dafür vorausgesetzte öffentliche Bekanntmachung gemäß § 16 ApoG ist am 27. Juni 2024 auf der Website des LAsD und im Amtsblatt Schleswig-Holstein in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde Helgoland, dem Kreis Pinneberg und dem Inhaber der Insel-Apotheke erfolgt.“ Bisher habe aber „noch keine der hiesigen Apotheken mit entsprechend örtlicher Nähe einen Antrag auf Erteilung einer Betriebserlaubnis für eine Zweigapotheke beim LAsD gestellt“, wodurch die Einrichtung einer Notapotheke immer wahrscheinlicher wird.

„Sollte sich sechs Monate nach der öffentlichen Bekanntmachung ergeben, dass weder ein Antrag auf Betrieb einer (Haupt-)Apotheke noch einer Zweigapotheke gestellt worden ist, kann die Gemeinde Helgoland die Erlaubnis zum Betrieb einer Notapotheke unter Leitung eines von ihr anzustellenden Apothekers beantragen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Räume und Einrichtungen müssten von der Gemeinde nachgewiesen werden“, schreibt das LAsD zu den gesetzlich vorgeschriebenen Abfolgen und bezieht sich damit auf § 17 ApoG.

Die Gemeinde jedenfalls ist bereits im Bilde und weiß, dass sie womöglich bald einspringen muss – entweder zum Jahreswechsel oder spätestens zu Ende März, wenn Hases Pachtvertrag für die Apotheke endet. „Fakt ist auch, dass Helgoland nicht ohne eine Apotheke auskommen kann“, weiß Helgolands Bürgermeister Thorsten Pollmann. „Wir haben rund 1700 Einwohner und hunderttausende Gäste jedes Jahr. Eine Apotheke ist also unverzichtbar. Diesen möglichen Notstand habe ich angezeigt, um im Notfall die Apotheke tatsächlich selbst betreiben zu können.“

Gemäß Gesetz wäre die Gemeinde Helgoland dann der Betreiber auftreten und würde die oder den erforderliche:n Apotheker:in einstellen. „Welche Aufgaben im Einzelnen mit dem Betrieb verbunden sind, kann ich heute auch noch nicht sagen“, so der Bürgermeister. „Grundsätzlich hoffe ich (und die Politik), dass in der noch verbleibenden Zeit ein Betreiber gefunden werden kann, der die Apotheke dann wie bisher eigenständig führen wird. Ich bin davon überzeugt, dass Helgoland mit seinen Gegebenheiten eine sehr gute Adresse für einen Apotheker darstellt“, ist sich Pollmann sicher. Die Gemeinde werde sich daher nun selbst „in den Prozess zur Findung einer Nachfolge einbringen“.

Fakt ist auch, dass Helgoland nicht ohne eine Apotheke auskommen kann.

Thorsten Pollmann, Bürgermeister von Helgoland

Um seine Inselbewohner:innen macht sich Apotheker Hase trotzdem Gedanken. Eine Lösung muss her, auch damit er künftig nicht mehr „nur noch im Dunkeln spazieren“ gehen dürfte. Denn Hase und seine Frau wollen Helgoland treu bleiben: „Wir bleiben auf der Insel“, so der Noch-Inhaber, der künftig als Vertretungsapotheker arbeiten möchte. Da wäre er natürlich auch weiter für die Insel da. Nur eben nicht mehr als Hauptverantwortlicher. Wer sich aber entscheiden würde, die Apotheke zu nehmen, hätte direkt eine Urlaubsvertretung vor Ort. „Wer jetzt also kommt, hat es besser als ich“, so Hase, der als Back-up erhalten bleiben würde.