Inklusion

PhiP mit Sehbehinderung

, Uhr aktualisiert am 09.12.2015 16:28 Uhr
Berlin -

Beratungsgespräche, Rezepturherstellung oder Arzneimittelabgabe – in der Apotheke braucht man alle Sinne. Entsprechend selten finden sich dort Pharmazeuten mit einer körperlichen Beeinträchtigung. So selten, dass manch interessierter Abiturient daran zweifelt, ob er mit seiner Behinderung überhaupt Apotheker werden kann. Dass das geht, beweist eine Pharmaziestudentin aus Baden-Württemberg.

Eine wichtige Hürde für Menschen mit Behinderung ist das Gesundheitszeugnis. Das muss bei der Beantragung der Approbation und später auch bei der Übernahme einer Apotheke vorgelegt werden. Darin bestätigt ein Arzt, dass der Apotheker in spe zur Ausübung seines Berufs geeignet ist.

Ob ein Pharmazeut mit einem schweren Sehfehler oder einer rheumatoiden Arthritis als Apotheker arbeiten darf, hängt somit zu großen Teilen davon ab, wie gut er mit der Einschränkung umgehen kann und wie sein Hausarzt das einschätzt. Letztlich sind das immer Einzelfallentscheidungen, die auch vom Arbeitsplatz abhängen. In einer Apotheke hätte es ein auf den Rollstuhl angewiesener Apotheker sicher schwerer als in der Forschung oder der Lehre.

Das man aber auch mit Behinderung in der Apotheke arbeiten kann, zeigte im in diesem Jahr eine Pharmaziepraktikantin, deren Sehvermögen stark eingeschränkt ist. Die Badische Zeitung berichtete im Juli über die Studentin, ihre Zeit in einer öffentlichen Apotheke und wie es ihr gelang, mit optischen und elektronischen Hilfsmitteln fast genauso zu arbeiten wie ihre Kollegen.

Im fünften Semester hatte die Studentin, die namentlich nicht genannt werden möchte, wegen eines Augenleidens den größeren Teil ihrer Sehkraft verloren. Trotz etlicher Behandlungspausen schloss sie ihr Studium erfolgreich ab und machte sich auf die Suche nach einer Apotheke für das Praktische Jahr. Sie dachte, das dies schwierig würde. „Dennoch hatte ich gleich mit der ersten Bewerbung Erfolg“, sagte sie der Badischen Zeitung.

Sechs Monate arbeitete sie in der Apotheke. Der Apothekenleiter sah das Praktikum auch als Chance: Er hoffte auf Impulse, wie Apotheken generell behindertenfreundlicher werden könnten. Das fängt schon bei der Einrichtung an: „Apothekenbauer nehmen bisher leider keine Rücksicht auf Sehbehinderte“, sagt er.

Doch bis die Studentin in der Apotheke anfangen konnte, brauchte es etliche Vorbereitungen. Über einen Kommissionierer verfügt die Apotheke zwar bereits seit elf Jahren, aber es waren noch eine spezielle Vergrößerungssoftware auf einem Bürorechner und einer Kasse, ein Bildschirmlesegerät und eine elektronische Handlupe nötig. Die Software Supernova mit dem Apothekensystem zu verbinden, gestaltete sich zwar nicht ganz einfach, gelang aber letztlich.

„Alles in allem haben die Extras 5000 Euro gekostet“, rechnete die Studentin in der Badischen Zeitung hoch. Die Kosten übernahm die Bundesagentur für Arbeit (BA). Ein Beamter war sogar mit ihr auf die Fachmesse Sightcity nach Frankfurt gefahren, um nach geeigneten Geräten zu suchen.

Wichtig war eine lange Vorlaufzeit: Schon ein Jahr vor dem Beginn ihres Praktikums hatte die Studentin einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gestellt. So konnte die BA bereits früh Kontakt zur Apotheke aufnehmen, die Offizin anschauen und klären, welche Hilfen die Pharmaziepraktikantin am Arbeitsplatz braucht. Neben den technischen Geräten hat sie auch eine Arbeitsassistenz bewilligt bekommen. Wenn sie handgeschriebene Abholzettel entziffern muss oder zu ähnlich aussehenden Kosmetika berät, konnte die Praktikantin auf die Hilfe von Kollegen zurückgreifen. Den personellen Mehraufwand bezahlte die BA.

Tatsächlich fiel ihre Sehbehinderung in der Praxis kaum auf. Nur manchmal sei sie gefragt worden, ob sie die Rezepte auf Echtheit prüfe, wenn sie sich über ihre spezielle Lupe beugte. Ihr kam dabei auch zugute, dass in der Apotheke kaum Rezepturen angefertigt werden.

Die technischen Hilfsmittel hat die Studentin nach ihrem Praktikum in der Apotheke mitgenommen zu ihrem nächsten Arbeitgeber, einem Generikahersteller. Auch nach ihrem Praktikum erhält sie Unterstützung am Arbeitsplatz: Die behinderungsgerechte Anpassung von Arbeitsplätzen wird dauerhaft gefördert, etwa in Form von Lohnkostenzuschüssen für den Arbeitgeber oder fortwährender Arbeitsassistenz.

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