Barrierefrei bis zum HV-Tisch Julia Pradel, 30.07.2014 10:55 Uhr
Nur jede fünfte Arztpraxis ist laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) barrierefrei. Deutlich besser sieht es in den Apotheken aus: Zwar liegen der ABDA keine Zahlen vor, aber aus Sicht von Pharmazierat Christian Bauer ist der größte Teil der Apotheken bereits barrierefrei. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte Deutschlands (APD) hofft auf die Einsicht der Kollegen: Von der Barrierefreiheit würden die Apotheker selbst profitieren, ist Bauer überzeugt.
Die Barriefreiheit ist in der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) geregelt, die in dieser Fassung 2012 in Kraft getreten war. Darin heißt es: „Die Offizin muss einen Zugang zu öffentlichen Verkehrsflächen haben und soll barrierefrei erreichbar sein.“ Für Ärzte gibt es über das Baurecht und die Bedarfsplanungsrichtlinie ähnliche Soll-Regelungen, die Kritikern aber nicht weit genug gehen.
Aus Bauers Erfahrung haben Apotheker beim Thema Barrierefreiheit einen Vorteil: „Apotheken sind traditionell im Erdgeschoss angesiedelt, während Arztpraxen oft im 1. oder 2. Stock liegen“, erklärt er. 15 bis 20 Prozent der Apotheken müssten nach seiner Schätzung dennoch Maßnahmen zur Barrierefreiheit ergreifen.
In den meisten Fällen handele es sich lediglich um eine oder zwei Stufen, sodass eine Rampe als Lösung ausreiche. In wenigen Fällen gebe es aber auch mehr Stufen, etwa in Apotheken, die wegen des Hochwasserschutzes hochgebaut wurden.
Aber auch eine Stufe kann teuer werden: Der Apotheker und ehemalige Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands, Dr. Hermann S. Keller, hatte Anfang 2013 vorgerechnet, dass ihn die Barrierefreiheit 25.000 Euro kosten würde. Seine Löwen-Apotheke am Mainzer Marktplatz hat zwei Stufen. Die Stadt hatte angeboten, den Marktplatz an dieser Stelle etwas anzuheben – für die zweite Stufe hätte Keller nach eigenen Angaben eine Rampe und eine neue Tür anbringen müssen. Bislang hat sich in Mainz aber nichts getan, die Stufen gibt es immer noch.
Aus Sicht von Bauer dürfen die Bestrebungen für Barrierefreiheit aber nicht versanden: Die Inhaber müssen tätig werden, sonst gibt es Ärger mit dem Pharmazierat. „Die Apotheke wird nicht geschlossen“, versichert Bauer. „Aber es wird angemahnt, eine Lösung zu finden.“ Diese könne in einem Seiten- oder Hintereingang oder einer Glocke als Hilfslösung liegen. Die darf aber nicht zum Dauer-Provisorium werden: „Der Druck bleibt. Untätigkeit gibt es nicht“, so Bauer.
Unter den Apothekern herrscht seit der Neufassung der ApBetrO große Sorge über die „Soll-Regelung“ zur Barrierefreiheit. Die Pharmazieräte einigten sich im Oktober 2012 darauf, dass der barrierefreie Zugang nur für neu eröffnete Apotheken Pflicht sei – also nicht bei Übernahmen, betont Bauer.
Die Sorgen der Apotheker konnten aber nicht endgültig zerschlagen werden: Beim Deutschen Apothekertag (DAT) 2013 brachten die Apothekerkammern Brandenburg und Nordrhein Anträge zur Barrierefreiheit ein. Sie forderten einen Bestandsschutz und im Einzelfall die Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile. Der Antrag wurde in den Ausschuss verwiesen. Ende 2013 hat die ABDA-Mitgliederversammlung entschieden, die Aufsichtsbehörden zur Verhältnismäßigkeit aufzufordern.
Bauer meint, die Apotheker sollten sich mehr in die Kunden hinein versetzen: „Zu uns kommen nicht die Leute, die topfit sind.“ Er denkt beim Thema Barrierefreiheit nicht nur an Rollstuhlfahrer, sondern auch an Rentner mit Rollatoren und Gehstöcken, Leistungssportler auf Krücken und Mütter mit Kinderwagen. Aus seiner Sicht haben die Apotheker ein eigenes Interesse daran, die Vorgabe für ihre Kunden umzusetzen.
Bauer sieht eine Win-Win-Situation für den Apotheker: „Wenn Kunden gern und leicht zu ihm kommen, bedingt das wirtschaftlichen Erfolg.“ Er ist überzeugt, dass sich die Kundenströme künftig verlagern: Leichter zugänglichere Apotheken seien dann im Vorteil. Der Markt werde das Problem noch auf andere Weise regeln: Eine Apotheke ohne Barrierefreiheit werde künftig schwerer zu verkaufen sein.
Seiner Erfahrung nach ist die Einsicht bei den Apothekern groß und kommt spätestens nach der Umsetzung. Er hat das selbst erlebt: „Wir haben im vergangenen Jahr eine kleine Stufe entfernt und durch eine schiefe Ebene ersetzt. Es haben sich viele Leute bei uns bedankt“, erzählt Bauer.
Barrierefreiheit logisch weiter gedacht bedeutet für ihn auch Automatiktüren und ein freier Weg durch die Offizin – „barrierefrei bis zum HV-Tisch“. Das Ziel sei, dass in zehn Jahren 90 bis 95 Prozent der Apotheken barrierefrei sind.
Dass Ärzte Fördergelder für die Umsetzung der Barrierefreiheit bekommen sollen, findet Bauer ungerecht: „Entweder erhalten alle Beteiligten einen Zuschuss oder keiner.“ Auch die Arztpraxis sei ein eigenes Wirtschaftsunternehmen. Allerdings: „Forderungen könnten wir auch aufstellen“, so Bauer. Wenn die ABDA in dieser Hinsicht tätig würde, würde er das unterstützen.