Alternde Inhaber

In der Offizin mit über 90

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Berlin -

Wenn man selbstständig ist, gilt oft „selbst“ und „ständig“ – für viele Apothekeninhaber:innen auch noch lange nach dem üblichen Renteneintrittsalter. So gibt es Inhaber wie den auch standespolitisch aktiven Reinhard Rokitta, der mit jenseits der 70 Jahre noch gerne in der Offizin steht. Aber auch er ist nicht nur aus Spaß an der Freude dabei: Es sei Selbstausbeutung und die Apotheke zu klein, um sie derzeit gewinnbringend zu verkaufen. Also macht er weiter. Wie verbreitet das Phänomen ist, zeigen die Zahlen der einzelnen Kammern und Verbände.

Rokitta gehört mit seinen 73 Jahren sicher zu den älteren Inhabern. Laut Abda-Zahlen sind 6,5 Prozent aller berufstätigen Pharmazeut:innen älter als 66 Jahre, weitere 7,2 Prozent sind über 61 Jahre. Die letzte Erhebung dieser Zahlen stammt jedoch aus dem Jahr 2019 und könnte sich auch aufgrund des demographischen Wandels noch einmal signifikant verschoben haben.

Hieraus geht auch nicht hervor, ob es sich um angestellte oder selbstständige Apotheker:innen handelt. Von einer hohen Quote bei den Inhaberinnen und Inhabern ist auszugehen: In den öffentlichen Apotheken liegt der Altersdurchschnitt bei den angestellten Apotheker:innen immerhin bei 45,6 Jahren, während die Inhaber:innen auf 53,5 Jahre kommen.

Rüstige Inhaber:innen, die sich mit über 70 Jahren noch wohlfühlen in der Apotheke, mag es häufiger geben. Doch auch Fälle jenseits der 80 oder sogar der 90 sind den Standesvertretungen bekannt. So zum Beispiel der 85-jährige Eike Friedrich Lossin, der noch bis Ende März die Eversten-Apotheke im niedersächsischen Oldenburg führte. Übergeben konnte er seine Apotheke nicht, nicht einmal geschenkt wollte sie jemand haben. Also steht die Apotheke nun leer.

Zu diesem Schritt konnte sich ihr Kollege Hans Peter Euschen aus dem saarlandändischen Friedrichsthal noch nicht überwinden, er sei auf die Einnahmen angewiesen und Miete für die Apotheke würde ihm niemand zahlen.

BaWü: Mit 93 im Verband

Etwas genauer als die Abda hat der Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV) seine Zahlen aufgeschlüsselt: 53,6 Jahre beträgt der Altersdurchschnitt der Mitglieder. 71 bis 75 Jahre alt sind hier noch etwas mehr als 3 Prozent der Apotheker:innen, etwas mehr als 1 Prozent sind zwischen 76 und 80 Jahre alt, nicht ganz 1 Prozent sind 81 bis 85 Jahre alt. Und bei den 0,6 Prozent der über 85-Jährigen taucht am Ende noch das älteste Verbandsmitglied auf: 93 Jahre alt. Insgesamt ergibt sich ein Schnitt von knapp 15 Prozent der Apotheker:innen im Ländle, die die 65 überschritten haben.

Ein Sprecher der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL) gibt zu bedenken, dass solche Zahlen immer mit etwas Vorsicht zu genießen wären. Schließlich geben sie weder Aufschluss darüber, ob angestellt oder selbstständig, noch nicht darüber, in welchem Umfang entsprechende Inhaber:innen wirklich noch aktiv in der Apotheke mitwirkten – oder nicht schon längst die jüngere Generation übernommen habe, wie in Apothekerfamilien oftmals der Fall. Auf dem Papier bleiben die Eltern hier oft noch etwas länger Inhaberin oder Inhaber, als es der Realität entspricht.

Westfalen-Lippe: 21 Inhaber:innen über 80 Jahre

Doch spannend sind die Zahlen allemal: Aktuell gibt es 1278 Inhaber:innen in Westfalen-Lippe. 193 davon sind 65 oder 66 Jahre alt, 141 Personen 67 bis 79 Jahre alt und sogar 21 Inhaber:innen sind älter als 80 Jahre. Die „Top 3“ der Altersspitze bestätigt die zuvor angesprochene (Familien-)Konstellation. So gebe es noch zwei 93 Jahre alte Personen, die die Apotheke aber entweder im Rahmen einer OHG führen oder ein jüngeres Familienmitglied beschäftigen, wobei davon auszugehen ist, dass dieses die Hauptarbeit übernimmt. Im Rahmen einer OHG gibt es sogar eine 94 Jahre alte Inhaberin oder einen 94 Jahre alten Inhaber – wie in allen Fällen darf hier aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zu sehr ins Detail gegangen werden.

Nordrhein: Ein Fall mit über 90 Jahren

Etwas genauer aufschlüsseln kann man hier im Nachbarbezirk Nordrhein: Bei den berufstätigen Apotheker:innen kann unterschieden werden nach approbierten Mitarbeiter:innen und den Inhaber:innen. Dabei sei zu beachten, dass „approbierte Mitarbeiter:innen“ auch häufig Familienangehörige der Inhaber:innen sein könnten – also beispielsweise, wenn die Kinder die Apotheke bereits übernommen haben, die Eltern aber noch stundenweise vor Ort helfen.

Die Kammer Nordrhein (AKNR) meldet bei den berufstätigen Approbierten im Alter

  • von 75 Jahren und älter: 65 Angestellte, 36 Inhaber:innen
  • von 80 Jahren und älter: 45 Angestellte und sieben Inhaber:innen
  • von 85 Jahren und älter: acht Angestellte und fünf Inhaber:innen
  • von 90 Jahren und älter: eine Inhaberin oder einen Inhaber

Saarland: Fast 40 Prozent über 60

Auch aus dem Saarland gebe es „traurige“ Zahlen: Von den insgesamt 206 Inhaber:innen sind 82 bereits 60 Jahre und älter: Davon sind 41 Inhaber:innen 60 Jahre und älter, 18 Inhaber:innen 65 Jahre und älter, zehn Inhaber:innen 67 Jahre und älter; die 70 haben dann noch zehn Inhaber:innen überschritten, zwei sogar die 80 Jahre und eine Inhaberin oder ein Inhaber ist über 90 Jahre alt.

Brandenburg: Zu wenig Nachwuchs

Für Brandenburg meldet die Kammer 41 Apothekeninhaber:innen, die bereits 65 Jahre alt oder älter sind. 14 davon seien sogar über 70 Jahre alt, teilweise auch weit darüber. Zudem gibt die Kammer zu bedenken, dass in den kommenden Jahren eine Vielzahl von Inhaber:innen das Rentenalter erreicht. „Bis 2030 verlieren wir auf diese Weise rund 100 Inhaber:innen. Um den Wegfall der älteren Kolleg:innen ausre­ichend abzufedern, gibt es aber nicht genug Nachwuchs“, heißt es.

„Umso wichtiger ist es, dass sich unsere Landesregierung endlich für die Etablierung eines Pharmaziestudiums im Land Brandenburg einsetzt.“ An dieser Front kämpft die Kammer bereits seit Längerem – ein kleiner Erfolg wurde gerade erreicht.

Einzelfälle in Berlin, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt

Auch in Berlin gibt es Zahlen zum Altersschnitt: „Wir wissen, dass wir Mitglieder haben, die als Inhaber:innen das übliche Renteneintrittsalter erreicht haben. Stand heute haben wir acht Inhaber:innen, die vor dem 31.12.1944 geboren sind und weiterhin den Status als Inhaber:innen führen“, heißt es von der Kammer.

Knapp 80-jährige-Inhaber:innen gibt es auch in Schleswig-Holstein vier, den Jahrgang 1944 überschreite hier aber niemand; ebenfalls vier Apothekeninhaber:innen über 80 Jahre meldet die Apothekerkammer Sachsen-Anhalt. Bremen meldet ähnlich wie der LAV Baden-Württemberg einen Schnitt von 14 Prozent der Inhaber:innen im Alter von 65 Jahren oder älter. In Niedersachsen sind 165 Apothekenleiter:innen 65 Jahre und älter, 78 davon sogar 70 Jahre und älter.

Bei der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz gelten derzeit 135 Inhaber:innen als „im Renten-fähigen Alter“. Weitere 116 Inhaber:innen sind etwa 70 Jahre und älter und zwölf sogar fast 80 Jahre alt und älter.

Immerhin in Mecklenburg-Vorpommern scheint sich der Trend nicht zu bestätigen. Hier gebe es aktuell eher nachkommende junge Kolleg:innen, die übernehmen und Inhaber:innen, die sich somit sogar teils vorzeitig in den Ruhestand verabschieden können, berichtet Verbandspräsident Axel Pudimat.

Mit 90 in der Offizin – grundsätzlich machbar

Grundsätzlich sei es durchaus möglich, auch über das Regelrenteneintrittsalter hinaus berufstätig zu sein, ob aus Spaß am Beruf oder dem Selbstverständnis als Selbstständige oder aus finanziellen Gründen. „Solange die Inhaberin oder der Inhaber die nach Apothekengesetz geforderte Zuverlässigkeit besitzt und in gesundheitlicher Hinsicht geeignet ist, die Apotheke ordnungsgemäß zu leiten, gibt es hier auch keinen Anhaltspunkt für ein ‚Verbot‘“, so die Apothekerkammer Bayern, die jedoch keine Altersstatistik führt.

So manche betagte Apotheker:innen könnten jedoch auch als sogenannte „Sitzapotheker“ in den Statistiken gelandet sein.

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