Patchwork-Verordnung: Apotheker müssen spuren Alexander Müller, 20.04.2017 09:13 Uhr
Eine Apothekerin könnte sich demnächst mit der AOK Baden-Württemberg vor dem Bundessozialgericht (BSG) treffen. Obwohl die umstrittenen Verträge über Impfstoffe längst abgelaufen sind, wollen die Beteiligten die Sache geklärt wissen. Denn aus Sicht des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg (LAV) geht es um eine Grundsatzfrage. Zuletzt hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) wegen der Impfstoffverträge zugunsten der Kasse entschieden.
Die AOK Baden-Württemberg hatte 2012 Rabattverträge über insgesamt zehn Impfstoffe abgeschlossen, unter anderem gegen Grippe, Windpocken, FSME und Meningokokken C. Zur Umsetzung dieser Verträge gab es zusätzlich eine Vereinbarung mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) des Landes. Demnach sollten die Ärzte den Rabattimpfstoff entweder namentlich verordnen oder „Impfstoff gegen ...“ auf das Rezept schreiben.
Bei einer produktneutralen Verordnung mussten die Apotheker den Impfstoff samt Hersteller selbst auswählen. Weil die Verträge aber nicht in der Software hinterlegt waren, gab es hierzu nur ein Poster als Hilfestellung. Erschwerend hinzu kam, dass das Bundesland in vier Regionallose aufgeteilt war.
Eine Apothekerin aus dem Beirat des LAV war mit der Unterstützung ihres Verbands deswegen vor Gericht gezogen. Aus Sicht der Apotheker darf die Kasse nicht behaupten, dass die Apotheker bei einer produktneutralen Verschreibung verpflichtet seien, auf einem Poster den passenden Impfstoff herauszusuchen.
In erster Instanz hatte die Apothekerin noch Erfolg: Das Sozialgericht Stuttgart gab ihr im Oktober 2015 recht. Aus Sicht des Gerichts verstößt die Verordnungsweise „Impfstoff gegen...“ gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) und die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV). Doch jetzt setzte sich die Kasse im Berufungsverfahren vor dem LSG durch. Die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig.
Für die Praxis hat das Urteil ohnehin keine Bedeutung mehr, die damals geschlossenen Verträge sind längst ausgelaufen. Heute gibt es in Baden-Württemberg wieder „normale“ Rabattverträge, die auch in der Software abgebildet werden. Gestritten wird vor Gericht auch nicht um Retaxationen. Nach einer hitzigen Debatte zu Beginn hatten sich AOK und LAV um praktikable Lösungen in der Praxis bemüht. Auch die KV hatte die Ärzte angehalten, eindeutig zu verordnen. Schließlich war und ist eine hohe Impfquote im Interesse aller Beteiligten.
Trotzdem wollen LAV und AOK die Sache gerne grundsätzlich klären. Die Apotheker sehen nämlich eigentlich nicht ein, „dass eine Kasse Verträge zu Lasten Dritter schließen darf“, wie es vom Verband heißt. Der Vorstand wird bei seiner nächsten Sitzung beraten, wie mit der aktuellen Gerichtsentscheidung umgegangen wird. Revision zum Bundessozialgericht (BSG) hat das LSG zugelassen. Gut möglich, dass die Apotheker diesen Schritt gehen werden.
Aus Sicht des LSG sind Apotheker auch bei einer produktneutralen Verordnung verpflichtet, das entsprechende Rabattprodukt mithilfe eines Posters herauszusuchen, wie aus der jetzt vorliegenden Begründung des Urteils vom 24. Januar hervorgeht. Der Arzt müsse sich bei der Verordnung an die Vorgaben der Krankenkasse halten, da sich sonst möglicherweise einem Regressrisiko aussetze. Und: „Eine Beteiligung der Apotheker an diesen Regelungen ist unnötig und daher im Gesetz auch nicht vorgesehen.“ Die Apotheker seien wiederum verpflichtet, nur die verordneten Impfstoffe abzugeben und bei der Verordnung rabattierter Impfstoffe zu verfahren, wie es die Kasse vorgebe. „Andernfalls erhalten sie – wegen Nichteinhaltung der vertragsärztlichen Verordnung – keinen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse“, so das LSG.
Die Apotheker dürften an die Versicherten keine Arzneimittel zu Lasten der Kassen außerhalb der dafür maßgebenden Vorschriften des Leistungsrechts abgeben, heißt es weiter. Darüber hinaus hätten auch die Versicherten nur einen Anspruch auf Versorgung mit rabattierten Impfstoffen. „Der Vergütungsanspruch der Apotheker korrespondiert also auch mit dem Leistungsanspruch der Versicherten“, so die Richter.
Die produktneutrale Verordnung ist laut Urteil auch nicht rechtswidrig: „Soweit dadurch die Verantwortung für die Auswahl des preiswerteren Impfstoffs teilweise vom Arzt auf den Apotheker verlagert wird, ist dies unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten hinzunehmen.“ Eine „Erschwernis über Gebühr“ zu Lasten der Apotheker sehen die Richter darin jedenfalls nicht: Bei wenigen Impfstoffen ist die Auswahl demnach auch ohne EDV-Unterstützung zumutbar.
Gemäß AMVV muss die Verschreibung eines Arzneimittels die „Bezeichnung des Fertigarzneimittels oder des Wirkstoffes“ enthalten. Eine namentliche Verordnung des Impfstoffs unter der Handelsbezeichnung ist deshalb aber aus Sicht der Richter nicht erforderlich. „Auch wenn bei der produktneutralen Verordnung der Impfstoff nicht namentlich benannt wird, ist er unter Zugrundelegung der Rabattverträge eindeutig bestimmbar.“ Die Zahl der Impfindikationen sei überschaubar, ebenso die Zahl der Impfstoffe. Wie bei jeder unklaren Verordnung könne die Apotheke im Zweifel zudem die Abgabe ablehnen oder beim Arzt nachfragen.
„Einen beträchtlichen Mehraufwand für die Apotheker bei der produktneutralen Verordnung gegenüber der namentlichen Verordnung eines Impfstoffes vermag der Senat nicht zu erkennen“, so die klare Ansage der Richter. Auch wenn der Arzt einen Impfstoff namentlich verordne, müsse der Apotheker die Rabattverträge prüfen. Da seine Vergütung zudem von dem Sachleistungsanspruch des Versicherten abhängt, müsse jeder Apotheker aus eigenem Interesse diese Prüfung vornehmen. „Unabhängig davon hat jeder Apotheker im Übrigen jede ihm vorgelegte Verordnung auf Richtigkeit und Vollständigkeit hinsichtlich der allgemeinen Abgaberegeln zu prüfen“, heißt es in der Begründung.
Die klagende Apothekerin und der LAV müssen nun entscheiden, ob sie den Streit vor dem BSG fortsetzen möchten oder nicht.