Kreativität ist gefragt beim Corona-Impfangebot: Nicht jede Apotheke hat ausreichende Räumlichkeiten oder kann Flächen im direkten Umfeld anmieten. Inhaber Gence Polat wollte dennoch „niedrigschwelligste Angebot ever“ erschaffen – und betreibt seit Dienstag neben seiner Kaler Apotheke in Köln einen Container, in dem er impft.
Köln-Kalk eilt ein Ruf voraus, der dem von Berlin-Neukölln oder der Dortmunder Nordstadt ähnelt: Sozialer Brennpunkt, sagen die einen, lebenswertes Multikultiviertel, die anderen. Wie man es auch dreht und wendet: Es ist eine Nachbarschaft, in der ein möglichst niedrigschwelliges Impfangebot – zumindest statistisch – großen Sinn ergibt. Seit Dienstag gibt es das dort auch. Auf dem Parkplatz neben der Kalker Apotheke können sich Anwohner und Zugereiste buchstäblich im Vorbeigehen impfen lassen. Ein 6 x 2,50 Meter großer Bürocontainer wurde dort nämlich zur Mini-Impfpraxis umfunktioniert und bietet Immunisierung in kürzester Zeit.
„Wir wollten das niedrigschwelligste Angebot ever schaffen: keine Termine, keine Vorankündigung, sondern einfach herkommen und sich impfen lassen. Es geht ja um die Leute, denen genau das fehlt“, sagt Polat. „Wir haben in Kalk eine Situation, dass der Bedarf da ist. Es gibt hier viele, die durch die vorhandenen Kanäle noch nicht erreicht wurden.“ Und der Plan scheint aufzugehen, wie die Erfahrungen des ersten Tages zeigen. Zwei Vials hatten Polat und seine Kolleg:innen schon bis Mittag verbraucht, 20 bis 30 Impfungen seien es am ersten Tag gewesen. „Da waren auch Erstgeimpfte dabei – und auf die bin ich besonders stolz.“
Aber auch bei den Booster-Impfungen habe sich schon am ersten Tag gezeigt, dass es Sinn ergibt, die Apotheken in das Impfgeschehen einzubeziehen. „Wir hatten gleich heute konkret jemanden, der sein Kind in die Kita gebracht hat. Er läuft an der Apotheke vorbei, sieht, wir machen da was, und fragt: ‚Was geht hier?‘“, erzählt Polat. Er habe es zeitlich noch nicht geschafft, sich boostern zu lassen, so die Erklärung des Vaters. „Also hat er das Kind zur Kita gebracht und sich auf dem Rückweg schnell boostern lassen. Das war genau das, was er gebraucht hat, in dem Moment. Man hat ja auch Alltagsprobleme, und genau da muss man die Leute abholen. Das Angebot bringt dann die Nachfrage mit sich.“
Die Aufmerksamkeit, die dem lokalen Kuriosum entgegengebracht wird, tut ihr Übriges. Vom WDR-Fernsehen bis zum lokalen Radiosender standen zur Eröffnung am Dienstag alle auf der Matte. „Wir hatten sogar Leute, die das im Radio gehört und dann hier nachgefragt haben. Es ist kein Run, das ist ja aber auch nicht, was wir beabsichtigen.“ Andere kämen nur, um sich beraten zu lassen, und wollen dann erst am Folgetag geimpft werden. „Und das ist gar kein Problem, dann kommen sie halt erst morgen!“, sagt Polat.
Die Aufmerksamkeit war aber nicht der Grund, neben der Apotheke einen Container aufzustellen. Die Idee war mehr aus der Not heraus geboren, denn die Kalker Apotheke hat schlicht nicht die Räumlichkeiten, um in ihr zu impfen. Dazu liegt sie an einer Hauptstraße ohne Leerstand; eine Parzelle anzumieten, war also keine Option. Also musste eine andere Lösung her. „Der Container war unsere Idee“, erzählt Polat. „Wir waren im APOTHEKE ADHOC Webinar zu Corona-Impfungen und es war sehr inspirierend. Der Kollege dort meinte, man kann prinzipiell überall impfen – da hatte ich die Idee direkt im Kopf.“
In Abstimmung mit dem Gesundheitsamt habe er das Konzept entworfen – „Hand in Hand“, wie er sagt. Bürokratisch sei es sehr unkompliziert gewesen. „Wir sind über die Anzeigepflicht gegangen. Wir haben sehr pfiffige Amtsapothekerinnen hier, die vorab eine Abfrage geschickt hatten, wer alles mitmachen will. Da haben wir das mit angegeben und es ist so durchgegangen. Es gab eigentlich nur diesen Anzeigeprozess, keine gesonderte Genehmigung. Natürlich hatten wir das aber vorher alles abgeklärt.“
Am Montag wurde der Container geliefert und rasch hergerichtet: Er ist in zwei durch einen Vorhang getrennte Bereiche aufgeteilt, in einem wird geimpft, im anderen warten die Impflinge danach eine Viertelstunde, um sicherzugehen, dass sie keine Impfreaktion zeigen. „Wenn du reingehst, denkst du direkt du bist in einer Arztpraxis. Wir haben quasi eine Praxis mit Liege, Kühlschrank, Erste Hilfe, Desinfektionsmöglichkeiten und so weiter da reingebaut, haben aber auch eine Wohlfühlatmosphäre hineingebracht. Wir wollen, dass die Leute sich bei uns wohlfühlen“, sagt Polat. „Und es hat noch einen Wow-Effekt, weil es von außen so unscheinbar wirkt – ein Container eben. Von innen haben wir aber alles rausgeholt, was man aus einem Container machen kann.“
Neben den selbstgeschaffenen Räumlichkeiten hat Polat auch personell für die Impfungen aufgefahren: Zwei Approbierte sind ausschließlich dafür abgestellt, eine dritte Kollegin absolviert noch die Schulung und zusätzliche Unterstützung kommt von einem pensionierten Arzt, der ebenfalls impft. Für Polat ist die klare Trennung wichtig. „Wenn ich impfe, kann ich nicht bedienen – das würde ich schon unterschreiben. Man muss Apothekerinnen hier haben, die wirklich heiß sind aufs Impfen. Das haben wir zum Glück“, sagt er. „Es sind aber immer genug Kollegen in der Apotheke, um die pharmazeutische Beratung durchzuführen, die darf unter dem Impfen auf keinen Fall leiden.“ Durch die gute personelle Ausstattung bestehe künftig auch die Möglichkeit, Wochenendaktionen durchzuführen – aber das ist noch Zukunftsmusik.
Erst einmal müssen sich die Prozesse in der „Impfbox“, wie Polat den Container nennt, einspielen. Die Kolleginnen empfangen die Impfwilligen in der Offizin, beraten sie dort, erledigen die Anmeldung und gehen dann mit ihnen in den Container. „Wir hatten jetzt auch mal Stoßzeit, da waren drei, vier Leute gleichzeitig da. Dann bleibt die Kollegin gleich im Container und wir erledigen den Papierkram hier in der Apotheke.“ Die Impfstoffaufbereitung werde je nach Bedarf direkt vor der Impfung gemacht. „Das hat bisher super geklappt, es gibt keinerlei Verwurf.“
Der Einstand war also denkbar erfolgreich – und Polat rechnet damit, dass es nicht nachlässt. „Ich glaube, dass es eher noch ein bisschen anzieht, denn wir haben ja bisher keine Werbung dafür gemacht, sondern die Füße stillgehalten und den Container hingestellt.“ Lediglich ein Aufsteller vor der Apotheke weist seit Dienstag auf die Impfmöglichkeit hin. „Und trotzdem sind schon 30 Leute zusammengekommen. Es ist besser angekommen als ich gedacht habe. Ich hatte vorher ein bisschen Bauchgrummeln, weil ja auch die Ärzte dagegen feuern. Aber die Leute feiern das, sie finden es wirklich klasse.“
Denn mehr noch als das Impfen innerhalb der Apotheke, ist das Angebot der Impfbox auch von außerhalb gut zu erkennen. „Es ist ähnlich wie bei den Impfbussen, nur dass wir immer hier sind und man uns nicht verpassen kann. Wenn jemand davon hört, kann er einfach vorbeikommen und muss sich nicht informieren, wann der Impfbus wo ist“, sagt der Inhaber. Dadurch, so glaube er, könnten die Apotheken einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Impfquote leisten. „Die Apotheke ist das niederschwelligste Gesundheitsangebot in Deutschland, und darauf können wir als Apotheker stolz sein. Es geht darum, dass die Leute verstehen, dass die Apotheke für sie da ist“, so Polat. „Wenn wir die Impfkampagne mit einem Sieb vergleichen, ist es einfach so, dass wir feinere Maschen haben. Wir erreichen täglich viel mehr Menschen und können jetzt auch die mitnehmen, die zum Beispiel wegen des Migrationshintergrundes nicht die Medien nutzen, die wir nutzen, oder aber die, die nicht krankenversichert sind.“
Aber auch in Richtung der Kollegen könne der Container eine Botschaft sein: „Wer will, der kann – das ist vielleicht die Message“, so Polat. „Der Prozess selbst ist kein Hexenwerk.“ Viele Kollegen hätten Lust, sich zu beteiligen, und solche Lösungen könnten das ermöglichen, auch wenn die räumlichen Gegebenheiten in der Apotheke selbst vielleicht nicht gegeben sind. Die Impfbox hat das Gesundheitsamt vorerst bis zum 31. Mai genehmigt, allerdings mit der Option auf eine Verlängerung, wenn Bedarf herrscht. Und das ist ein realistisches Szenario, wie der Inhaber betont: „Es ist ja absehbar, dass eine Omikron-Impfkampagne kommt und dann sind wir schon da. Auch eine dauerhafte Lösung ist prinzipiell möglich.“
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