Der Countdown läuft. Ein paar Tage noch, dann ist die Barnim-Apotheke in Berlin-Marzahn Geschichte. Apotheker Klaus-Peter Brandts Betrieb scheint viele Probleme zu vereinen, die die Apotheker derzeit bedrücken. Er hat goldene Zeiten erlebt – und auch die nicht so schönen.
Brandt ist im Rentenalter, wollte verkaufen, fand keinen Nachfolger und wird am 30. Mai das letzte Mal den Schlüssel seiner Apotheke im Schloss umdrehen. Ein Schicksal von vielen? Mit 19.748 Apotheken war deren Zahl im vergangenen Jahr auf den Tiefststand seit 1987 gesunken. Zum Vergleich: Um die Jahrtausendwende hatte es 21.592 Apotheken gegeben.
Brandt hat in „goldenen Zeiten“ gegründet: „Wir haben im Jahr 1991 eröffnet“, erzählt er. Rx-Versandhandel erschien bestenfalls als Alptraum, über den man beim Aufwachen lächeln konnte. Es gab natürlich Bürokratie, aber die hielt sich in Grenzen: „Ich würde sagen, dass mittlerweile 50 Prozent unserer Arbeit Bürokratie sind“, stellt der Apotheker fest.
„Ich hätte meine Apotheke gern verkauft“, sagt er. „Seit dem letzten Sommer habe ich Interessenten gesucht, es gab auch welche.“ Aber wenn sie die Zahlen sahen, winkten sie ab. „Der Letzte ist im Februar abgesprungen.“ Hier stirbt keine Dynastie, hier endet keine Apotheken-Geschichte, die vor 350 Jahren begann. Und trotzdem stimmt die Geschichte der Barnim-Apotheke taurig.
Denn wie bei einer unheilvollen Perlenkette reihen sich weitere Probleme aneinander: „Die Anzahl der Arztsitze ist bei uns rückgängig, viele der Ärzte sind älter. Ich bin mit 67 Jahren nun auch im Rentenalter und meine Mitarbeiter ebenfalls.“ Erschwerend kommt hinzu: „Die Kaufkraft in Marzahn-Nord ist nicht so gut.“ Mal eben als Extra eine Gesichtscreme oder die lustige Wärmflasche mitzunehmen, müssen sich die Kunden hier doppelt überlegen.
„Wir haben einen sehr guten Ruf im Kiez, haben viele Stammkunden. Viele sind sehr traurig, weil wir jetzt schließen, sie sagen, dass wir Teil ihres Lebens waren. Wir kennen sie ja seit fast 30 Jahren.“ Da weiß man, welche Magenprobleme die Oma hat, was am besten bei Erkältungen hilft und wie man wen am besten tröstet.
Die Apotheke als sozialer Treffpunkt – auch das hat die Barnim-Apotheke geboten. Und zwar gern. „Jüngere Menschen denken nicht darüber nach, aber ältere kommen immer gern in die Apotheke.“ Nie haben ihn die Geschichten der Stammkunden gelangweilt oder gar genervt. Er wusste: Wer am Samstag kam, der erzählte gern. „Da hatten wir auch mal ein bisschen Zeit. Man erfährt als Apotheker viele Familiengeschichten, ist der Kummerkasten im Kiez. Ich habe vieles erlebt, kann Ratschläge geben.“ Die Stammkunden wussten das zu schätzen.
Brandt versucht, den Abschied optimistisch zu sehen. „Ich bin dann erstmal Rentner. Ich werde mich um meine Enkeltochter kümmern, meinen Hobbys frönen. Ich werde viel Lesen und meine Erinnerungen aufschreiben.“ Ein Leben ganz ohne Apotheke ist für ihn jedoch nicht vorstellbar. „Vielleicht arbeite ich mal als Urlaubsvertretung, es gibt ja wenig Personal.“ Apotheker ist und bleibt sein Traumberuf, er würde ihn jungen Menschen auch bedingungslos empfehlen. „Apotheker werden immer gebraucht. Die Apotheke war mein Lebensinhalt. Ich habe den Beruf gerne ergriffen, mit Liebe ausgeübt und war erfolgreich.“ Und ohne Bürokratie würde er sofort wieder von vorne loslegen.
Die Barnim-Apotheke wird in den kommenden Tagen leergeräumt. „Die Einrichtung wird leider entsorgt, das Labor konnten wir günstig verkaufen.“ Nur von seinem Apothekenschild würde er sich niemals trennen. „Das hebe ich auf, es kommt in mein persönliches kleines Museum.“ Dort verwahrt er alte Gefäße und Arzneimittelpackungen, Stempel, Laborgeräte. „Nur die schönen oder die, die interessant aussehen.“
Das Pharmaziegeschäft in Marzahn wird weitergehen. „Es gibt fünf Apotheken im Kiez“, sagt Brandt. Versorgungsengpässe seien nicht zu erwarten - aber das traurige Gefühl, wenn man an einem liebgewonnenen Ort vorübergehe, in dem eines Tages ein anderes Geschäft sein werde.
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