„Ich sehe nicht ein, eine Arbeit zu machen, ohne dafür bezahlt zu werden“ Tobias Lau, 09.03.2020 09:50 Uhr
Apotheker Matthias Hoffmeister legt sich erneut mit der AOK an – und diesmal richtig: Nachdem er vergangenen Sommer bereits die „Spielchen der Kassen“ öffentlich gemacht hatte, hat der Inhaber der Arnika-Apotheke in Wegscheidt nun Klage gegen die AOK Bayern eingereicht. Denn die Kasse vergütet die Abgabedokumentation in der Substitution nur je Rezept – Hoffmeister muss aber jede Abgabe einzeln dokumentieren und hat sie entsprechend abgerechnet. Die Folge: dutzende Retaxationen. Nun erhofft er sich einen Musterstreit: „Wenn wir gegen die AOK Bayern gewinnen sollten, ist es nur noch Formsache, dass die anderen Kassen auch bezahlen müssen“, so Hoffmeister.
In der Summe kommt ein bisschen was zusammen: 2,91 Euro sah die Arzneimittelpreisverordnung bis zum 31. Dezember pro Dokumentation vor, seit dem 1. Januar sind es 4,26 Euro. So viel ist klar, danach gehen die Meinungen auseinander: Aus Sicht der Kasse muss sie einmal je Verordnung die Dokumentationsgebühr bezahlen, also durchschnittlich einmal pro Woche oder alle zwei Wochen. Das sieht Hoffmeister gar nicht ein – denn unter seinen monatlich 120 bis 150 Substitutionspatienten sind zahlreiche, die zur täglichen Abgabe verpflichtet sind.
Grob zusammengefasst gibt es nämlich drei Abgabemodi bei Substitutionspatienten: Stabil eingestellte und als verlässlich eingestufte Patienten erhalten ihre Wochenration in der Apotheke und nehmen ihr Substitionsmittel dann selbstständig zuhause ein. Meist neu eingestellte Patienten erhalten ihr Substitution in der Sichtvergabe, müssen es also jeden Tag in der Apotheke abholen, können es aber allein einnehmen. Und dann gibt es diejenigen, die zur täglichen Abgabe unter Aufsicht verpflichtet sind – manchmal aus mangelnder Verlässlichkeit, manchmal als Erziehungsmaßnahme der behandelnden Ärzte.
„Die meisten sind vernünftige Leute“, betont Hoffmeister. Dennoch: In der zweiten und dritten Gruppe fällt für ihn jedes Mal ein Dokumentationsaufwand an. Pro Woche hat Hoffmeister nach eigenen Angaben allein drei bis vier Patienten der dritten Gruppe. Eine Riesensumme kommt so nicht zusammen, aber Hoffmeister geht es ums Prinzip. „Es geht mir ehrlicherweise auch ums Geld – aber vor allem darum, dass wir uns ständig darum streiten müssen, unsere Leistungen auch vergütet werden. Es gibt etliche Bereiche, in denen wir etwas leisten, aber die Kassen nicht zahlen.“ Die 2,91 Euro seien keine Aufwandsentschädigung für die Abgabe, sondern für die Dokumentation – und die ist täglich notwendig. „Ich sehe es nicht ein, eine Arbeit zu machen, ohne dafür bezahlt zu werden“, so Hoffmeister.
Deshalb hat sich der Inhaber über das ganze vergangene Jahr mit der AOK Bayern herumgeschlagen. Im Dezember 2017 hat er begonnen, die Gebühr pro Abgabe zu erheben. „Wir rechnen jedes Rezept einzeln mit der Zahl der Abgaben ab“, erklärt er sein Vorgehen. Ein halbes bis Dreivierteljahr später kommen dann die Ablehnungsbescheide, gegen die er jedes mal Widerspruch einlegt. „Da sind wir mittlerweile professioneller geworden und legen jedes Mal ein Schreiben bei, in dem wir den Sachverhalt erläutern.“ Routinemäßig kommt daraufhin der Widerspruch der AOK, dass sie den Einwand nicht anerkennt.
Monatelang hat Hoffmeister auf die Klage hingearbeitet, Dokumente und Argumente gesammelt, sich mit seinem Anwalt besprochen und Verbündete gesucht – letzteres vergeblich. Kammern und Verbände hätten kein großes Interesse gezeigt. „Ich habe auch mit Kollegen gesprochen. Die haben gesagt, ‚Es ist zwar schön, wenn du gewinnst, aber wir wollen da jetzt auch keinen Ärger‘“. Doch mangelnder Rückhalt hielt ihn nicht auf. Im Dezember machte er der AOK das letzte Mal ein Angebot, sich in der Auseinandersetzung gütlich zu einigen. „Mein Anwalt hat von Anfang an gesagt, wir geben ihnen die Chance, das außergerichtlich zu klären. Ihm war aber schnell klar, dass auch die Kassen einen Musterstreit wollen.“
Und so reichte Hoffmeister Anfang Februar sein Klageschreiben gegen die AOK Bayern ein, eine Klage auf Rechnungskorrektur: Er verlangt die Begleichung einer ausstehenden Summe in Höhe von 1328,18 Euro – „wobei der Betrag ja ständig wächst“, wie er betont. Seine Chancen, gegen die AOK zu gewinnen, stehen seinem Anwalt zufolge gut, wie er sagt. Insbesondere, dass die entscheidende Stelle im Arzneimittelversorgungvertrag Bayern (AV-Bay) interpretiert werden könne, macht ihm Hoffnung.
„Bei der Belieferung eines T-Rezepts sowie der Abgabe eines Betäubungsmittels, dessen Verbleib nach der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung in der jeweils geltenden Fassung nachzuweisen ist, können Apotheken einen zusätzlichen Betrag gemäß § 7 Arzneimittelpreisverordnung mit der Krankenkasse abrechnen“, heißt es dort in §4 Abs.10. „Wenn eine ärztliche Verordnung die Abgabe unterschiedlicher Fertigarzneimittel beziehungsweise die Abgabe von Fertigarzneimitteln mit unterschiedlichen Packungsgrößen beziehungsweise Wirkstoffstärken erfordert, kann die BtM-Gebühr jeweils einmal abgerechnet werden.“
Nun handelt es sich zwar bei mehrfachen Abgaben nicht um jeweils andere Fertigarzneimittel, Wirkstoffstärken oder Packungsgrößen, die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung verlangt aber, jeweils durch die Dokumentation den Verbleib nachzuweisen – und zwar nach jeder Abgabe, nicht nur pro Rezept. Auch § 7 Arzneimittelpreisverordnung, auf den jener Paragraph im AV-Bay Bezug nimmt, sei dahingehend eindeutig: „Bei der Abgabe eines Betäubungsmittels, dessen Verbleib nach § 1 Absatz 3 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung nachzuweisen ist, sowie bei der Abgabe von Arzneimitteln nach § 3a der Arzneimittelverschreibungsverordnung können die Apotheken einen zusätzlichen Betrag von 4,26 Euro einschließlich Umsatzsteuer berechnen.“
Und die Abgabe ist den beanstandeten Fällen täglich, beharrt Hoffmeister. „Wir sind der Meinung, dass dieser tägliche Dokumentationsschritt von der Kasse vergütet werden muss“, so Hoffmeister. Ob die Richter da auch seiner Meinung sind, wird sich zeigen – allzu schnell wird das aber voraussichtlich nicht gehen. „Das landet voraussichtlich vorm Sozialgericht und das dauert erfahrungsgemäß lange. Wenn wir da heuer noch etwas sehen, wäre ich überrascht.“