Nach dem Ruhestand ist noch nicht Schluss

„Ich habe mal überlegt, mit 70 aufzuhören“

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Berlin -

In Zeiten von Lieferengpässen und Rabattverträgen wird die Arbeit in der Apotheke zunehmend komplizierter. Dass die Tätigkeit in der Apotheke jedoch auch über die Pensionierung hinaus noch Spaß machen kann, beweist Apothekerin Brigitte Havertz: Für die 66-Jährige war klar, dass nach der Rente noch nicht Schluss ist. Regelmäßig unterstützt sie das Team der Remigius-Apotheke in Leverkusen-Opladen.

Havertz hat einen vielseitigen Werdegang hinter sich: Mit 23 Jahren macht sie ihre Approbation. Zu dieser Zeit arbeitet sie in einer Apotheke in Köln. „Ich stamme aus einer Ära, in der es noch Defekturbücher gab“, lacht sie. Wenn Arzneimittel nicht mehr vorrätig waren, wurden sie in ein Defekturbuch geschrieben. „Die Helferin hat sie dann beim Großhandel bestellt“, erklärt die Apothekerin. Nach drei Jahren in der Apotheke und einem Jahr an der PTA-Schule in Köln wechselte Havertz schließlich in den Außendienst von Bayer. Später leitete Havertz die medizinisch-wissenschaftliche Außenstelle des Unternehmens und führte unter anderem klinische und pharmakologische Studien durch. Später war sie für die Fach-PR-Betreuung im Bereich Selbstmedikation des Konzerns verantwortlich. Noch heute pflegt sie Freundschaften aus damaliger Zeit und ist zeitweise für Bayer tätig.

Für Havertz war klar, dass sie nach der Pensionierung in einer Apotheke tätig bleiben will. „Deshalb habe ich etwa 15 Jahre vorher bei einem befreundeten Apotheker angefangen einmal im Monat samstags auszuhelfen“, erklärt Havertz. Aus gutem Grund: „Hätte ich das nicht gemacht, würde ich heute in der Apotheke zusammenbrechen“, lacht sie. Denn die Arbeit in der Apotheke verändert sich schnell. „Das Fachwissen ist ja da“, erklärt die Apothekerin – die Formalitäten und Regelungen würden jedoch immer mehr. Das schwierigste sei, die Software zu beherrschen. „Ich war mal als Vertretung in einer anderen Apotheke, mit anderer Software – das war schon sehr aufregend“, meint Havertz.

Als die Apothekerin in Rente ging, suchte die nur zehn Minuten entfernte Remigius-Apotheke im Leverkusener Stadtteil Opladen Verstärkung – für die Apothekerin ein Glückstreffer. „Meine Grundvoraussetzung war, dass ich auch mal mehrere Wochen am Stück Urlaub machen kann“, erklärt die Apothekerin. Im Gegenzug dafür ist sie aufgrund der kurzen Entfernung sehr flexibel einsetzbar: „Ich kann auch mal kurzfristig einspringen, wenn Not ist.“ Den Urlaub nutzt Havertz zum Reisen. Sie spricht fließend Englisch, Französisch und Italienisch, sowie etwas Arabisch. „Längere Reisen, zum Beispiel nach Australien, Neuseeland oder den asiatischen Raum, sind ab einem bestimmten Alter nicht mehr möglich“, erklärt die Apothekerin. Solange die Gesundheit es zulässt, möchte sie daher eine große Reise pro Jahr wahrnehmen können. Thailand, Malaysia und Singapur stehen als nächstes auf dem Programm.

In der Apotheke ist Havertz vor allem im Handverkauf tätig. „Der Kontakt zum Kunden ist mir sehr wichtig und macht mir am meisten Spaß.“ Die verständliche Erläuterung der Zusammenhänge für den Patienten ist ein wesentlicher Aspekt, der Havertz motiviert: „Es macht mir Spaß für den Laien verständlich zu machen, warum ein Arzneimittel gut geeignet ist, oder manche eben nicht zusammen eingenommen werden sollen.“ Schwierigkeiten in fortgeschrittenem Alter akzeptiert zu werden, habe man nicht. Im Gegenteil – viele würden sich sogar lieber von ihr beraten lassen. „Vor allem ältere Patienten fühlen sich von Gleichaltrigen besser verstanden, als von Kollegen, die frisch von der Uni kommen.“ Da sich die Apotheke direkt neben einem Kranken- und Ärztehaus befindet, kämen viele Patienten, die eine ausführlichere Beratung wünschen. „Wir sind keine Apotheke in der die Kunden nur ein-und ausgehen“, erklärt die Apothekerin.

„Die Arbeit in der Apotheke hält mich fit“, meint Havertz. Nach der Rente von 100 auf 0 zu gehen hält sie für nicht gesund. „Die Arbeit sorgt für Menschenkontakt, Abwechslung und sie bringt Struktur in die Woche.“ Eine Hürde sei die fehlende Routine im Vergleich zu den Vollzeitkräften: „Hilfsmittel lasse ich zum Beispiel lieber von einer PTA taxieren“, sagt sie und auch im Bereich Rezeptur lasse sie den anderen den Vorrang. „Ich war nie der Typ, der gerne im Labor steht“, erklärt sie. Außerdem seien jüngere Kollegen im Bereich Plausibilitätsprüfung wesentlich fitter. Grundsätzlich würden beide Seiten profitieren: „Wenn ich mich mit den jüngeren Kollegen unterhalte, ist das immer eine Bereicherung für mich“, erklärt Havertz. Sie selbst kenne dafür noch einige „Uralt-Arzneimittel“ oder verschiedene Hausmittel, die in Vergessenheit geraten sind.

Die Arbeit als Apotheker ist aus Havertz Sicht in allen Lebenslagen – so auch nach der Pensionierung – gut möglich: Denn der Apothekerberuf sei sehr flexibel. Dennoch hätten viele ältere Kollegen, die noch aus Zeiten des „Kärtchensteckens“ kommen, Respekt vor der Tätigkeit: Software, Rabattverträge, Nichtverfügbarkeiten und immer weiter wachsende Formalien würden viele nervös machen. „Die ganzen Dinge, die eigentlich nichts mit dem Fachwissen zu tun haben“, erklärt Havertz. All diese Aspekte sind für die Apothekerin jedoch kein Grund die Arbeit zu beenden. „Es wird ja überall komplizierter, nicht nur in den Apotheken.“

Im Vergleich zu früher hat sich die Apotheke in einigen Dingen wesentlich verändert: „Ich fand es einfacher ohne die ganzen Generika“, gibt Havertz zu. Die Vielfalt, Rabattverträge und die Lohnhersteller-Mentalität führe zu Lieferengpässen, die es früher so nicht gegeben habe. „Ich finde es schlimm, jedem zweiten Patienten sagen zu müssen, dass etwas nicht lieferbar ist.“ Außerdem kritisiert die Apothekerin die vorherrschende Rechtfertigung gegenüber den Krankenkassen. „Das sind viele Arbeitsschritte, die vermieden werden könnten, wenn dem Apotheker mehr Vertrauen entgegengebracht würde.“

Mittlerweile seien ja selbst gängige Wirkstoffe wie Ibuprofen von den Engpässen betroffen. „Das regt mich wirklich auf“, sagt Havertz. „Es tut mir leid, wenn ich einen Patienten wegschicken muss, weil etwas nicht lieferbar ist und es keine Austauschmöglichkeit gibt.“ Denn solche Situationen könnten vermieden werden, wenn die Gesetzgebung die Voraussetzungen einfacher machen würde. Doch früher war nicht alles besser: „Handschriftliche Rezepte gehörten früher zum Alltag. Da musste man öfter mal raten oder nachhaken was verordnet wurde“, lacht die Apothekerin. Außerdem sei die Lagerhaltung wesentlich einfacher als früher: Automatische Nachbestellungen und die Häufigkeit der Arzneimittellieferungen seien eine enorme Arbeitserleichterung.

Wie lange Havertz noch in der Apotheke arbeiten will, steht noch nicht fest. Acht Stunden am Stück zu stehen, falle im Alter irgendwann schwer, ein halber Tag sei jedoch noch gut machbar. Wenn Großpackungen oder Arzneimittel benötigt werden, für die das Steigen auf einen Hocker notwendig ist, stehen die Kollegen zur Seite. „Ich habe mal überlegt, mit 70 aufzuhören“, erklärt sie. „Denn mit dem Rollator möchte ich nicht mehr durch die Apotheke rollen“, lacht die Apothekerin.

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