Verjährungfrist

Hunderte Apotheker verklagt: AOK scheitert krachend

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Berlin -

Die AOK Hessen hatte kurz nach Weihnachten hunderte Apotheken verklagt, um die Verjährung vermeintlicher Ansprüche zu unterbrechen. An den Ansprüchen der Kasse bestanden von vornherein erhebliche Zweifel. Jetzt hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen, in ihrem Bescheid finden die Richter deutliche Worte. Ob die AOK gegen die Entscheidung in Berufung geht, ist noch nicht entschieden.

Zum Jahresende 2019 machte sich bei einigen Kassen Panik breit: Die AOKen aus Hessen, Niedersachsen, Rheinland/Hamburg und Sachsen-Anhalt sowie die IKK gesund plus und die IKK Südwest forderten von den Apotheken den Verzicht auf die Einrede der Verjährung bei der umsatzsteuerlichen Behandlung von Herstellerabschlägen. Hintergrund ist eine Entscheidung des Finanzgerichts Münster, wonach Kassen keine Umsatzsteuer auf Herstellerabschläge bezahlen müssen. Die Sache liegt noch beim Bundesfinanzhof (BFH), die Kassen fürchteten zum Jahreswechsel aber eine Verjährung etwaiger Rückforderungsansprüche für 2015 gegenüber den Apothekern.

Weil ein Verfahren vor dem Sozialgericht den Eintritt der Verjährung hemmt, hatten die Kassen eine Klage angedroht, sollten die Apotheker die kurzfristig verlangte Verzichtserklärung nicht abgeben. Das wurde Ende Dezember noch schnell wahr gemacht. Allein die AOK Hessen hat einem Sprecher zufolge Klagen „im deutlich dreistelligen Bereich“ eingereicht.

74 davon lagen beim Sozialgericht Kassel zu den Fällen in Nordhessen. Hier hat die AOK am 20. Mai eine krachende Niederlage kassiert. Die Klage wurde ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Zunächst hatte die Kasse ihr Ansinnen nicht ausreichend begründet und dann auf Nachfragen des Gerichts gar nicht mehr reagiert.

Die Verfahren hatte die Kasse am 27. Dezember „ohne Begründung, lediglich zur Verjährungshemmung in unterschiedlichen Kammern des Gerichts anhängig gemacht und dabei das Ruhen des Verfahrens beantragt“, heißt es im Bescheid des Gerichts. Kurz vor dem Jahreswechsel, am 30. Dezember, schrieb das Gericht die Parteien an. Um den Ruhendantrag durchzuwinken, müssten nicht nur die Beklagten zustimmen, auch müsse der Streitgegenstand näher bestimmt werden. Die Kasse hatte parallel erklärend nachgeschoben, „dass sich die geltend gemachten Ansprüche gegen Apotheken wegen zu viel gezahlter Umsatzsteuer auf das Jahr 2015 beziehen“. Immer wieder hakte das Gericht in der Folge bei der AOK nach, doch die Kasse stellte sich tot, reagierte auch nicht auf die Klageerwiderung der Apotheker.

Deren Vertreter hielten schon die Klage für unzulässig, weil die Kasse lediglich behaupte, dass sie noch Geld bekomme. Man erfahre weder, woher sie ihre Forderung ableite, noch worauf sie ihren Anspruch stütze, noch wie sich der geforderte Betrag zusammensetze. Zudem sei bekannt, dass die Kasse bei sämtlichen Sozialgerichten des Landes so vorgegangen war und die nachgeschobene Erklärung – Umsatzsteuer 2015 – nicht einmal den konkreten Verfahren zugeordnet habe. Ein lockerer Zuruf nach dem Motto „Alles, was wir an zwei Tagen im Dezember 2019 eingereicht haben, war so oder so gemeint“ reiche aber nicht aus, um die Klage ausreichend zu bestimmen.

Damit war aus Sicht der Apotheker aber auch das Ziel der Klage – die Verjährung der Ansprüche zu hemmen – bereits verwirkt. Denn dazu hätte die Klage noch 2019 formal rechtsanhängig sein müssen. Spätestens an Silvester hätte die Kasse ihre Ansprüche konkretisieren müssen. Tatsächlich enthalte die Klage aber keinerlei Sachvortrag, die Forderung sei nicht einmal ansatzweise erläutert. Für einen langjährigen Vertragspartner der Klägerin stelle ein solches Vorgehen eine Zumutung dar, empörten sich die Apotheker bei Gericht. Zudem sei der Hinweise der Kasse auf das BFH-Verfahren unverständlich. Es sei nicht nachvollziehbar, „inwieweit eine den grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Warenverkehr betreffende steuerrechtliche Frage vorliegend relevant sein sollte“.

Vor diesem Hintergrund schrieb das Gericht die Parteien Ende März erneut an und teilte mit, dass ungeachtet der anderen Mindestanforderungen aus Sicht der Kammer „erst gar kein Ruhensgrund ersichtlich“ sei. Weil der Fall so eindeutig gegen die Kasse lag, kündigte das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung an. Bis zum 20. Mai konnte die Kasse hierzu noch Stellung nehmen.

Und wie verhielt sich die AOK Hessen dazu? „Mit Eingang vom 19. Mai 2020 hat die Klägerin dann erstmals zur Sache Stellung genommen“, heißt es in den Akten. Zur geltend gemachten Unzulässigkeit der Klage, zur erhobenen Einrede der Verjährung, den Hinweisen des Gerichts und der danach beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid habe sie sich aber wieder nicht geäußert. Trotzdem beantragte die Kasse weiterhin die Rückzahlung der angeblich zu viel gezahlten Umsatzsteuer plus Zinsen.

Wenig überraschend fand das Gericht das nicht besonders überzeugend. Die Kasse kassierte eine komplette Breitseite: Die Klage sei nicht begründet, der geltend gemachte Zahlungsanspruch stehe der AOK nicht zu. Unabhängig davon sei der Zahlungsanspruch für 2015 verjährt. Denn die Klageschrift der Kasse sei nicht geeignet gewesen, sie Sache bei Gericht anhängig zu machen und damit die Verjährung zu unterbrechen. Inhaltlich geht das Gericht gar nicht mehr weiter auf die Sache ein, sondern macht sich die „insgesamt überzeugenden tatsächlichen und insbesondere auch rechtlichen Ausführungen des Beklagten zu eigen“.

Beim Hessische Apothekerverband (HAV) findet man das Vorgehen der Kasse „gänzlich unverständlich“. Es sei nicht ersichtlich, wie die AOK zu der Überzeugung komme, sie habe zu viel Umsatzsteuer gezahlt. Im Juni soll es ein Gespräch auf Spitzeneben zwischen Kasse und Verband geben. Dann werden die Apotheker auch erfahren, ob die AOK sei weiterhin verklagt. Ein Sprecher der Kasse teilte gegenüber APOTHEKE ADHOC mit, dass darüber noch keine Entscheidung gefallen sei.

 

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