Das deutsche Apothekensystem wird regelmäßig von Gesundheitsökonomen als veraltet kritisiert: Diesmal ist es Frederik Röder, der in der Huffington Post im Apothekenwesen Gildestrukturen des Mittelalters ausmacht. Röder plädiert für eine umfassende Liberalisierung der „verkrusteten Regulierung des Apothekenmarktes“. Befürchtungen wie daraus resultierende pharmazeutische Unterversorgung auf dem Land und weniger Service seien „Panikmache“.
Aus Sicht von Röder wird die Institution Apotheke in Deutschland von zu vielen Reglementierungen vor Wettbewerb abgeschirmt. Fremd- und Mehrbesitzverbot sieht der Gesundheitsökonom äußerst kritisch. Das Fremdbesitzverbot beschränke den Kreis der Apothekenbesitzer, das Mehrbesitzverbot unterbinde „unternehmerische Expansion“.
Darüber hinaus sind dem Ökonom das Rx-Honorar von 8,35 Euro sowie die zusätzlichen 3 Prozent vom Herstellerabgabepreis ein Dorn im Auge. Immerhin würden die 8,35 Euro selbst dann gezahlt, wenn das abgegebene Medikament nur Centbeträge gekostet habe. „Der Versicherte zahlt“, fasst Röder zusammen.
Weil der Apotheker an jeder Packung verdiene, sei es in seinem Interesse, dass Ärzte eher kleine Packungsgrößen verschrieben, so Röder. Um den Mediziner zum „dienlichen Verschreibungsverhalten“ zu erziehen, würden Apotheker sie beispielsweise zum „Golfurlaub nach Mallorca“ einladen, schreibt er. Das Verhältnis zwischen den Heilberuflern sei ohnehin eng, da die Ärzte häufig Mieter im Ärztehaus seien, das einem Apotheker gehöre.
Röder plädiert außerdem dafür, ein digitales Rezept – wie in anderen Ländern – schnellstmöglich einzuführen. Dadurch würden Versandapotheken unterstützt, denn derzeit sei es noch kompliziert, verschreibungspflichtige Medikamente online zu kaufen. Versandapotheken zu stärken, habe den Vorteil, dass auch die Landbevölkerung problemlos ihre Arzneimittel beziehen könne, so Röder. Das zeige es etwa in Estland.
Des Weiteren wünscht sich Röder, dass OTC-Medikamente auch außerhalb der Apotheke verkauft werden. Paracetamol aus dem Supermarkt – das sei in den Nachbarländern Dänemark und Niederlande bereits Alltag. Beim apothekenexklusiven Verkauf müsse der Kunde die „deutlich höhere Kostenstruktur der Apotheke“ mitfinanzieren, erklärt Röder.
Aus den Marktregulierungen folgen laut Röder „prächtige Gewinne“ für die Apotheker, die über Kasseneinzahlungen finanziert würden. Die durchschnittliche Apotheke mache 130.000 Euro Gewinn pro Jahr – die Personalkosten seien dabei bereits abgerechnet. Aber: „Es sollte wirklich nicht Aufgabe der Allgemeinheit sein, Apothekern ein Mindesteinkommen und Wettbewerbsschutz zu garantieren.“
Die Lösung ist für Röder eine umfassende Liberalisierung des Apothekenmarktes. Daraus folge mehr Wettbewerb. Das wiederum führe zu längeren Öffnungszeiten der Apotheken, wie Beispiele der liberalisierten Länder zeigten. Dass die Landversorgung gefährdet sei, stimme nicht, sagt Röder: Insbesondere in ländlichen Gegenden der Slowakei hätte die Apothekendichte sogar zugenommen, nachdem Fremdbesitz erlaubt worden sei. „Schreckensszenarien“ träfen also nicht so, sagt Röder.
Der Gesundheitsökonom sieht in der Liberalisierung eine Möglichkeit, Ausgaben für Gesundheit zu senken. Diese Kosteneinsparungen könnten an den Konsumenten weitergegeben werden, sagt Röder. Die Beibehaltung des „gildenähnlichen Status quo“ in der Apothekenlandschaft passe nicht ins 21. Jahrhundert.
Röder hat in Göttingen, Bayreuth, Maribor und Shanghai Gesundheitsökonomie und International Business studiert. Er ist Geschäftsführer der in Estland angesiedelten Unternehmensberatung Healthcare Solutions. Zudem ist er Gastdozent für Gesundheitsökonomie sowie Gesundheitsmanagement an der Litauischen Universität für Gesundheitswissenschaften und der Ilia State University in den USA.
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