Homöopathie: Apothekerin erhält Hassbriefe APOTHEKE ADHOC, 01.07.2020 14:48 Uhr
Iris Hundertmark ist gewissermaßen die Nathalie Grams der Apothekerzunft: Seit sie vor zwei Jahren medienwirksam beschloss, in ihrer Apotheke keine Homöopathie zu verkaufen, ist sie zu einer Wortführerin der Homöopathie-Gegner in ihrer Branche avanciert. Auf Twitter tut sie ihre Meinung regelmäßig kund und hat mittlerweile über 8000 Follower um sich geschart. Dafür erhält sie nicht nur Unterstützung von teils prominenter Seite, sondern ist auch Opfer von Anfeindungen und Hassnachrichten. Hundertmark steht trotzdem zu ihrer Entscheidung – die sich auch betriebswirtschaftlich für sie gerechnet habe.
„Und da war er! Mein erster NHK (Notdienst-Homöopathie-Kunde) heute. Laugenunfall gestern. Erstmal die Nacht abgewartet. Heute zu mir in den Notdienst. ‚Euphrasia Augentropfen bitte. Es tut so weh!‘ Nein. Keine Euphrasia Augentropfen von mir. Kein Fall für die Apotheke“, schrieb Hundertmark am 1. Mai auf Twitter. Mit solchen Anekdoten, aber auch Statements zur Homöopathie in Medizin und Pharmazie verbreitet Hundertmark auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ihren Standpunkt. Und damit erreicht sie immer mehr Leute, vor allem seit sie 2018 verkündete, in ihrer Apotheke keine homöopathischen Produkte mehr anzubieten.
Bis heute ist sie die einzige Apothekeninhaberin, die diesen Schritt öffentlich getan hat – und musste dafür schon so einiges aushalten. Kurz nach der Entscheidung gab sie einer der Lokalzeitung Weilheimer Tageblatt ein Interview, indem sie ihren Verzicht auf Homöopathie damit begründete, „eine ehrliche Apothekerin“ sein zu wollen, und stach damit in ein Wespennest. Nach Erscheinen des Artikels hätten Mails ihren Posteingang geflutet, erzählte Hundertmark der Süddeutschen Zeitung (SZ) in einem kürzlich dort erschienen Porträt über sie. Vor allem Kollegen hätten sie dabei angegangen. Rufschädigung habe man ihr vorgeworfen, sie stelle Homöopathen pauschal als Lügner hin, andere hätten ihr mit dem Rechtsanwalt gedroht. Auch Post habe sie in der Zeit erhalten – aus der wolle sie aber gar nicht erst zitieren.
Dass sie Gegenwind bekommen würde, damit habe sie gerechnet, berichtet Hundertmark der SZ. Dass es so schlimm werden würde, hatte sie aber nicht erwartet. Auf Anfrage will Hundertmark die Berichte auch gar nicht weiter kommentieren, um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen, wie sie sagt.
Eine Enttäuschung für sie ist jedoch, dass sie weiterhin allein auf weiter Flur steht. Bis heute sei sie die einzige Apothekeninhaberin, die sich öffentlich dazu bekennt, keine Homöopathika mehr anzubieten. Von vielen Homöopathiekritikern erhält sie hingegen Unterstützung, darunter nicht nur Nathalie Grams, sondern auch SPD-Gesundheitspolitiker Professor Dr. Karl Lauterbach. „Unglaublich, dass fast alle Apotheker Globuli verkaufen. In einem Zeitalter, in dem wir ohne Wissenschaft und Vernunft unsere Krisen nicht mehr lange meistern können, sollte ein Apotheker eigentlich zu den Prinzipien seines Studiums stehen können“, kritisierte der auf Twitter und verlinkte darunter das Porträt von Hundertmark.
Dabei hat auch Hundertmark Homöopathie nicht komplett und ausnahmslos aus ihrer Offizin verbannt. Wer unbedingt Globuli will, bekommt sie auch in Hundertmarks Bahnhof-Apotheke in Weilheim. Sie bietet sie nur eben nicht mehr explizit an – schließlich hätten Apotheker nicht nur eine Versorgungs-, sondern auch eine Beratungspflicht, betont sie. Sie wolle nicht bekehren, sondern aufklären – und schließt sich damit dem Credo an, dem sich ihre Mitstreiterin Nathalie Grams verpflichtet fühlt.
Dass sie bei weitem nicht die einzige Apothekerin ist, die nicht an die Wirkung von Globuli & Co. glaubt, dürfte relativ klar sein. Warum bekennt sich aber sonst niemand dazu? Die Vermutung ist naheliegend, dass die Sorge um einen Umsatzverlust mit den homöopathischen Produkten eine entscheidende Rolle spielt. Dabei habe sich es für sie gar nicht negativ ausgewirkt, erklärt Hundertmark. Klar, setze sie jetzt kaum noch etwas mit Homöopathie um. Stattdessen gibt sie aber herkömmliche Medikamente ab. Vor allem aber habe ihre Entscheidung der Apotheke zu Bekanntheit verholfen – sie habe dadurch mehr Kunden gewonnen als verloren. Manche seien gar besonders überzeugt von ihr: Sie würden auf der Durchreise extra am Weilheimer Bahnhof aussteigen, nur um in ihrer Apotheke einkaufen.