Angesichts der gravierenden Lieferengpässe sind die Apotheken auf jedmögliche Erleichterung bei der Abgabe angewiesen. In Sachsen soll eine Inhaberin jetzt allerdings ein Bußgeld zahlen, weil sie einen Hochpreiser nicht abgeben und einen Patienten wegschicken musste. Auch wenn der Streit längst geklärt ist, verfolgt die Kammer die Sache weiter – und will ein Bußgeld verhängen lassen.
Als Vorsitzende des Vereins Freie Apothekerschaft (FA) hat sich Daniela Hänel bundesweit einen Namen gemacht, hauptberuflich leitet sie die Linda-Apotheke in der Nordvorstadt im sächsischen Zwickau. Im Sinne der Patientinnen und Patienten versucht sie bei jedem Engpass eine Lösung zu finden: Bis weit in den Feierabend hinein checken sie und ihr Team die Defektlisten, bei vier Großhändlern kauft sie mittlerweile ihre Ware ein, auch wenn das zu Lasten ihrer Konditionen geht.
In besonders gravierenden Fällen sieht sich sogar gezwungen, Arzneimittel für bestimmte Patientengruppen vorzuhalten: Fiebersäfte und Antibiotika in flüssiger Form etwa bekommen bei ihr zuallerst Kundinnen und Kunden mit Rezept sowie kleine Kinder, denen sie den Wechsel auf eine feste Darreichungsform nicht zumuten will.
Als Vereinsvorsitzende wiederum wird sich nicht müde, öffentlich auf die Missstände hinzuweisen. So schaltete sie schon Zeitungsanzeigen, schrieb Briefe an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) oder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Zuletzt organisierte sie die Protestaktion „Der letzte Kittel“ und schickte dem FDP-Abgeordneten Professor Dr. Andrew Ullmann eine achtseitige Auflistung der bürokratischen Auflagen, die Apotheken bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten zu berücksichtigen haben. Alles ehrenamtlich, in ihrer Freizeit und überwiegend mit eigenen Mitteln.
In diese Gemengelage platzte in der vergangenen Woche die Mitteilung, dass ein Patient sie bei der Kammer angeschwärzt hatte. Er hatte ein Rezept über Stelara einreichen wollen, Hänel hatte ihre Kontingent jedoch bereits aufgebraucht und den Kunden gebeten, es doch bitte in einer anderen Apotheke zu versuchen. Der Patient brauchte das Medikament nämlich dringend noch am selben Tag.
Als sie erfuhr, dass es daraufhin eine Anzeige bei der Kammer gegeben hatte, rief sie den Kunden persönlich an, um die Sache geradezurücken. Erst war das Gespräch ein wenig angespannt, logisch, doch Hänel nahm sich ausreichend Zeit, um die Hintergründe noch einmal ausführlich zu erklären: Lieferengpässe, Kontingente, Erstattung und Retax, das gesamte Programm. Das habe er nicht gewusst, räumte der Mann ein. Er habe die Begegnung in der Apotheke dahingehend verstanden, dass man das Rezept nicht beliefern wolle und er sich eine andere Apotheke suchen solle. Am Ende war die Sache aus der Welt geschafft.
Nicht auf sich beruhen lassen wollte die Sache dagegen die Apothekerkammer. Sie schrieb Hänel am Montag an, der Fachausschuss habe die Beschwerde geprüft und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich weder um einen Kontingentartikel handele noch ein Engpass vorgelegen habe. Daher werde man die Sache als Verstoß gegen die berufsrechtlichen Pflichten an die Landesdirektion geben, die als Aufsichtsbehörde gegebenenfalls ein Bußgeld verhängen werde.
Die Apothekerin griff noch einmal zum Telefonhörer und rief die Justiziarin der Kammer an, mit der sie wegen der Problematik rund um die Hochpreiser ohnehin seit einigen Wochen im Austausch steht. Auch wenn der Patient in einer anderen Apotheke versorgt worden sei, müsse man der Sache nachgehen, sei ihr erklärt worden. Man habe ihr aber freigestelt, eine Stellungnahme abzugeben und Belege nachzureichen.
Das will Hänel nicht tun – aus Prinzip, wie sie sagt. Die Verfügbarkeitsanzeige habe „rot“ für nicht lieferbar angezeigt; welche Details sie mit ihren Lieferanten vereinbare, gehe niemanden etwas an, sagt sie: „Das sind die letzten kaufmännischen Freiheiten, die ich noch habe.“
Ihr Fall zeige einmal mehr, wie die Apotheken zwischen Kontrahierungszwang und Kontingentierung einerseits sowie Nichtverfügbarkeit und Abfrage- und Dokumentationspflichten andererseits aufgerieben würden. Hinzu kämen Patientenbeschwerden und negative Google-Einträge – und jetzt eben auch noch die Gängelei ausgerechnet durch die eigene Kammer. „Normalerweise dürften wir laut Apothekenbetriebsordnung gar nicht mehr öffnen, da wir die vorgegebene Warenbevorratung für mindestens eine Woche nicht mehr gewährleisten können.“
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