Wenn Spanne auf 2 Prozent fällt

Hochpreiser: Inhaberin zeigt Worst-Case-Szenario Carolin Ciulli, 08.08.2024 10:46 Uhr

Rote Zahlen: Sinkt die Spanne von 3 auf 2 Prozent, können Hochpreiser laut Inhaberin Merle Looschen für Apotheken zum Minusgeschäft werden. Foto: Franziskus-Apotheke
Berlin - 

Ein Hochpreiser, der es in sich hat – und das im ersten Monat der Selbstständigkeit: Merle Looschen konnte ein Rezept über Berinert (CSL Behring) aus finanziellen Gründen nur mit dem Rückhalt ihrer Familie beliefern. Immerhin kostet das Medikament, das beim Hereditären Angioödem (HAE) eingesetzt wird, rund 82.400 Euro im Einkauf. Die 32-jährige Inhaberin der Franziskus Apotheke in Lohne rechnet vor, was die Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die prozentuale Spanne der Apotheken von 3 auf 2 Prozent kürzen, für Hochpreiser bedeutet.

Looschen übernahm im April die zwei Apotheken ihrer Mutter. „Die Hauptapotheke hat viel mehr Kundschaft und dadurch auch mehr Sonderfälle, man muss mehr Arbeitsstunden investieren und mehr im Blick haben“, sagt sie. Auch Patientinnen und Patienten mit hochpreisigen Arzneimitteln im Medikationsplan gehören dazu. „In umsatzstarken Apotheken kommen oft mehr Hochpreiser vor, natürlich abhängig von den Ärzten in der Umgebung.“

Zinsen fressen Ertrag

Einer ihrer Patienten kommt alle paar Monate mit einem Rezept über Berinert. „Das ist kein Medikament, das ich jeden Tag in den Händen halte, da bin ich auch froh darüber.“ Momentan liege der Rohertrag für die Apotheke dafür bei rund 2500 Euro. Doch dabei bleibe es nicht, betont Looschen. Die Apotheke müsse das Medikament bis zu acht Wochen vorfinanzieren. „Es wird eingekauft und die Apotheke muss dieses bezahlen. Das Rezept wird zum Monatsende abgerechnet und die Zahlung über das Rechenzentrum wird circa zum 25. des Folgemonats an die Apotheke überwiesen.“

Die Zinsen für einen kurzfristigen Warenkredit lägen zwischen 10 und 15 Prozent. „Wir rechnen mit 12,5 Prozent Zinsen.“ Für Berinert 3000 I.E. 20 Stück ergeben sich Zinskosten von 1894,88 Euro und als Rohertrag verbleiben laut Looschen 584,75 Euro. Fällt die Spanne auf 2 Prozent, würde die Apotheke noch 1655,85 Euro (1648,85 Euro + 9,00 Euro Fixhonorar - 2,00 Euro Kassenabschlag) an Rohertrag erwirtschaften; abzüglich der Zinskosten von 1839,50 Euro verbliebe ein Minus von 183,65 Euro. „Die beliefernde Apotheke muss im ‚Worst-Case-Szenario‘ 283,65 Euro bezahlen, um den Patienten versorgen zu können.“ In diesem Betrag sei ein Anteil des umsatzabhängigen Kammerbeitrags von 100 Euro eingerechnet.

1,13 Euro für Krebsmedikament

Beim Krebsmedikament Xtandi 40 mg 112 Stück, das im Einkauf 2539,59 Euro kostet, erwirtschaftet die Apotheke 57,79 Euro. Abzüglich der Zinskosten von 56,66 Euro blieben als Rohertrag 1,13 Euro übrig, wenn die Spanne auf 2 Prozent falle. Im Vergleich dazu verdiene die Apotheke nach einer Umsetzung der geplanten Apothekenreform mit Ibuprofen 600 mg 20 Stück, das im Einkauf für knapp 2 Euro zu haben ist, etwa 7 Euro.

„Mit der Reform verlieren Apotheken mit vielen Hochpreisern viel Gewinn beziehungsweise Rohertrag, Apotheken mit wenig Hochpreisern werden nur wenig gestärkt. Apotheken mit wenig Gewinn haben mehr Schwierigkeiten, sehr teure Medikamente zu liefern aufgrund der Vorfinanzierungsproblematik“, sagt sie.

Retax als Risiko

Die nötige Vorfinanzierung bei Hochpreisern und das Retaxrisiko, das man eingehe, könnten mit 2 Prozent Aufschlag nicht abgebildet werden. „Es müssen wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass wir eine kompetente und wohnortnahe Patientenversorgung bieten können. Ich sehe nicht, dass wir das mit dieser Reform erreichen“, fordert Looschen.

Ertragsstarke Apotheken könnten aufwändige Recherchen und Warenbeschaffungen eher stemmen als Apotheken, die weniger erwirtschafteten. „Mit Inkrafttreten der Apothekenreform müssten die ertragsstärkeren Apotheken stärker ökonomisch agieren und können diese Zusatzleistungen, die nicht vergütet werden, nicht mehr in dem Umfang übernehmen. Das führt zu einer Verschlechterung der Versorgung für die Patienten“, warnt sie.

Reform: Nur Verlierer

Die Inhaberin betont: „Wir benötigen den höheren Rohertrag bei Hochpreisern, um einerseits das Risiko der Belieferung zu tragen. Andererseits können dadurch im Vergleich zur Abgabe bei einem Ibu 600 mg aufwändigere Beratungen und Recherchen oder Rezepturherstellungen querfinanziert werden.“ Aus der Reform ergeben sich aus ihrer Sicht zwei Probleme: „Die Lieferung von Hochpreisern stellt die Apotheken vor wirtschaftliche Herausforderungen, denn der Kontrahierungszwang gilt natürlich auch weiterhin.“ Und durch die Schwächung der ertragsstarken Apotheken könnten auch diese solche Leistungen nicht mehr in dem Umfang erbringen.

Der Anteil der Hochpreiser wächst seit Jahren. Für Apotheken bedeutet die Abgabe ein gewisses Risiko, da sie in Vorkasse gehen müssen. Deshalb vertrösten Betriebe ihre Kundschaft mitunter bei teureren Arzneimitteln, die dann in anderen Apotheken ihr Rezept vorlegen. Auf Medikamente mit einem Preis von mehr als 1500 Euro entfielen laut Abda-Zahlen zuletzt zwar weniger als 1 Prozent der Packungen, ihr Anteil am Gesamtumsatz machte aber 39 Prozent aus. „Wenn die Spanne wirklich nur noch bei 2 Prozent liegen soll, muss man sehen, wo die Reise hingeht“, sagt Looschen.