Bezugsnachweise

Hochpreiser: AOK ruft Apotheken an Alexander Müller, 27.10.2017 10:42 Uhr

Berlin - 

Bei der Abrechnung der Rezepte schauen die Krankenkassen genau hin. Hat die Apotheke etwas übersehen oder einen Fehler gemacht, wird die Rechnung gekürzt oder gleich auf Null retaxiert. Die AOK Bayern spürt aktuell mit besonderem Aufwand nach potenziellen Abgabefehlern: Sie fordert von Apotheken Belege ein, wann sie ihre Hochpreiser bestellt haben.

Apotheken aus dem Freistaat berichten, dass sie von der AOK kontaktiert wurden. Telefonisch fordern demnach Mitarbeiter der Kasse die Apotheken auf, sofort einen Nachweis für den Bezug besonders hochpreisiger Arzneimittel zu bringen. Die Apotheken sollen dann etwa die Rechnung des Herstellers faxen.

Den Kontrolleuren geht es dabei nicht nur darum, sogenannte Luftrezepte auffliegen zu lassen. Auch diese Fälle gibt es, bei denen Apotheker Arzneimittel abrechnen, die sie nie abgegeben haben. Aber das sind die absoluten Ausnahmen und eindeutiger Abrechnungsbetrug.

Regelmäßig Anlass für Retaxationen ist dagegen das Datum auf dem Rezept. Die Falle lauert im Alltag: Präparate mit einem vier- bis fünfstelligen Einkaufspreis haben Apotheken normalerweise nicht auf Lager. Kommt ein Patient mit einem Sovaldi- oder Humira-Rezept in die Apotheke, muss das Präparat erst bestellt werden.

Wenn die Apotheke das Rezept dann schon bedruckt, ist das für die AOK Bayern – und andere Kassen – ein Retaxationsgrund. Denn laut Rahmenvertrag darf das Rezept erst bei Übergabe des Arzneimittels bedruckt werden. Bei Präparaten, die in der Apotheke sehr selten abgegeben werden, kann die Kasse den Bezug zurückverfolgen. Daher die Fahndung nach den Bestellbelegen.

Beim Bayerischen Apothekerverband (BAV) ist das Phänomen bekannt: „Wir stellen fest, dass es vermehrt zu solchen Kontrollen insbesondere im Bereich hochpreisiger Arzneimittel kommt“, bestätigt ein Sprecher. In der für Kassenangelegenheiten zuständigen Abteilung des Verbands sei das Thema aktuell eine „relevante Größe“ geworden.

Was Inhaber vor allem umtreibt: Müssen sie der Aufforderung der Kasse Folge leisten und ihren Einkauf belegen? Die klare Antwort des Verbands: „Nein, das müssen sie nicht!“ Der Sprecher verweist in diesem Zusammenhang auf den Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern (AV-Bay). In § 4 zur Preisberechnung heißt es unter anderem: „Der Apotheker hat auf begründete Anforderung der Krankenkasse den Apothekeneinkaufspreis durch Vorlage der Einkaufsbelege nachzuweisen, soweit der Preis nicht im ABDA-Artikelstamm aufgeführt ist oder sich nachvollziehbare Zweifel an der Richtigkeit des Einkaufspreises ergeben.“ Der Verband rät deshalb davon ab, auf telefonische Anfrage irgendwelche Belege an die Kasse zu faxen.

Die AOK Bayern hat sich noch nicht dazu geäußert, inwiefern sie aktuell Verdachtsmomenten nachgeht oder was hinter der Aktion steckt. Eine Stellungnahme hat die Kasse aber für kommende Woche zugesagt.

In den Apotheken sorgt das Vorgehen der AOK für Verärgerung: „Es geht der Kasse nur darum, Stress und Unruhe in die Apotheke zu bringen. Es wird offenbar immer davon ausgegangen, dass die Apotheker manipulieren. Alternativ werden dann irgendwelche Fälle konstruiert“, beschwert sich ein Münchener Apotheker.

Ein Kollege findet die Datumskontrolle ebenfalls sehr spitzfindig. „Das verursacht bei uns einen bürokratischen Mehraufwand und das vollkommen ohne Grund.“ Er könnte das Misstrauen der Kasse verstehen, wenn er die Rezepte vor der Abgabe des Medikaments in die Abrechnung geben würde. „Aber de facto lagen die Rezepte hier nur einen Tag bedruckt in der Apotheke.“

Selbst wenn die Kasse formal recht haben mag, der Apotheker findet das Vorgehen „vollkommen unmoralisch“. Schließlich sei der Patient versorgt. Die AOK bereichere sich ganz systematisch bei der Abgabe hochpreisiger Arzneimittel. Weil er selbst auch schon einmal vierstellig retaxiert wurde, hat er die Prozesse in der Apotheke umgestellt.

Das QMS in seiner Apotheke schreibt jetzt vor, dass Rezepte immer erst bei Übergabe bedruckt werden. Das ist zwar lästig, gibt aber mehr Sicherheit. Absolute allerdings auch nicht. Zum Beispiel weiß der Apotheker nicht, ob auch Lieferscheine akzeptiert werden, wenn der Hersteller erst am Monatsende eine Sammelrechnung schickt. „Zuletzt hatte ich ein Rezept im Wert von 40.000 Euro. Da hält man diesen rosa Zettel in der Hand und hofft, dass die Kasse das so akzeptiert.“

Vor einem Jahr hatten die Kassen für Schlagzeilen gesorgt, als sie von den Apotheken lückelose Nachweise für Defekte von Rabattpräparaten forderten. Die AOK Rheinland/Hamburg war mit einer „Schattenretaxierung“ in Sachen Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln vorgeprescht: Sie verlangte von den Apothekern entweder einen direkten Beleg des Herstellers oder eine doppelte Bestätigung von zwei Großhändlern, dass das entsprechende Produkt tatsächlich nicht lieferbar war.

Aus Sicht der Kassen muss der Apotheker in jedem Fall einen Lieferauftrag bei seinem Großhändler auslösen – auch wenn schon klar ist, dass eine Lieferung nicht erfolgen kann. Nur so lasse sich mit der negativen Antwort des Großhändlers auf dem Lieferschein der exakte Zeitpunkt des Defekts dokumentieren. Mit diesen Nachweisen wollten die Kassen dann die Hersteller konfrontieren. Das sei insbesondere für Rabattarzneimittel relevant, hieß es im Kassenlager. Denn dann geht es um etwaige Vertragsstrafen.