AOK Nordwest: 20,90 Euro Windelpauschale Maria Hendrischke, 06.06.2016 14:57 Uhr
Ab Juli gilt bei der AOK Nordwest ein neuer Hilfsmittelvertrag. Knackpunkt ist die Pauschale für Inkontinenzhilfen: Bis dato hatte die Kasse in Westfalen-Lippe je nach Art und Größe des Produkts einen festen Stückpreis gezahlt. Nun soll eine Monatspauschale von 20,90 Euro eingeführt werden. Der neue Vertrag gilt auch für Schleswig-Holstein; mit ihm sinkt die bisher gezahlte Pauschale um mehr als zehn Euro.
Die Apotheker der Regionen erhielten Ende Mai ein Schreiben zum neuen Vertrag. Die AOK Nordwest ist die mitgliedsstärkste Krankenkasse in Westfalen-Lippe und war eine der letzten Kassen, die für die Inkontinenzversorgung keine Pauschale, sondern einen Stückpreis gezahlt hat. Mit der Pauschale wolle die Kasse ihre Ausgaben besser planen können und eine Überversorgung abbauen, erklärt Dr. Sebastian Schwintek, Geschäftsführer des Apothekerverbands. „Bei der Erstattung auf Einzelproduktbasis war der Patientendruck auf die Ärzte so groß, dass sie mehr Produkte verschrieben als medizinisch notwendig“, so Schwintek.
Der neue Hilfsmittelvertrag gilt auch für die Region Schleswig-Holstein. Dort wurde bereits zuvor eine Pauschale gezahlt, allerdings lag diese bei 31,89 Euro monatlich. Dr. Thomas Friedrich, Geschäftsführer des Apothekerverbands, ist mit der gesunkenen Pauschale „natürlich nicht“ zufrieden. „Ich weiß nicht, wie Apotheker damit besonders schwere Fälle von Inkontinenz ausreichend versorgen sollen“, kritisiert Friedrich.
Mit der vormals knapp zehn Euro höheren Pauschale sei die Versorgung mit Inkontinenz-Hilfsmitteln möglich gewesen, sagt er. Bei der neuen Pauschale habe es keinen Verhandlungsspielraum gegeben, berichtet er: „Die AOK hatte Leistungserbringer gefunden, die zu dem Preis liefern konnten.“ Inwieweit diese Anbieter mit Patientenzuzahlungen kalkulierten, habe dabei keine Rolle gespielt, so Friedrich.
Apotheker könnten sich trotzdem gezwungen sehen, dem Vertrag beizutreten: „Es bleibt die Befürchtung, dass vielleicht die Nachbarapotheke Inkontinenzpatienten auch künftig versorgt und damit auch ihre Rezepte bekommt“, so Friedrich. Deshalb könnten sich die Apotheker etwa auf eine Mischkalkulation einlassen und auf Patientenzuzahlungen setzen.
Friedrich ist enttäuscht, dass der neue Vertrag im Widerspruch zu den Bemühungen des Patientenbeauftragten der Bundesregierung steht: Karl-Josef Laumann (CDU) forderte eine höhere Windelqualität und plant eine entsprechende gesetzliche Regelung. „Es wird zwar eine bessere Qualität gefordert, aber trotzdem wollen die Kassen weniger zahlen“, so Friedrich. Das sei unehrlich.
Der Apothekerverband Westfalen-Lippe ist mit dem Ergebnis der Vertragsverhandlungen insgesamt zufrieden: „Bezogen auf alle Hilfsmittel haben wir für die Leistungserbringer gute Konditionen ausgehandelt“, sagt Schwintek.
Schwintek kann nachvollziehen, dass die Pauschalverträge kritisiert werden. „Bei einigen Krankenkassen sinkt die Pauschale immer weiter, die Versorgung von schwer Betroffenen wird damit immer schwieriger – es sei denn, sie zahlen drauf“, so Schwintek. Die Knappschaft zahlt beispielsweise eine monatliche Pauschale von 15 Euro. Mit der Pauschale der AOK Nordwest sei eine ausreichende Versorgung der Inkontinenzpatienten möglich. „Die Pauschale errechnet sich aus dem Bedarf von leicht und schwer erkrankten Patienten“, sagt Schwintek.
Der neue Hilfsmittelvertrag gilt automatisch. Den Apothekern wird aber die Möglichkeit eingeräumt, aus der Inkontinenzversorgung auszutreten. Bis zum 8. Juni sollen sie den Widerspruch verkünden. „Der Ein- und Ausstieg in den Vertrag ist jederzeit möglich.“
Bisher hätten beim Verband in Westfalen-Lippe nur wenige Apotheker ihren Rücktritt vom Vertrag erklärt. Beim Verband in Schleswig-Holstein sei noch kein Trend erkennbar, da das Schreiben an die Apotheker erst vor Kurzem verschickt wurde.