Apotheken, die Pflegeheime beliefern, sind oft ausufernden Forderungen der Betreiber ausgeliefert. Einseitig fristlos kündigen darf das Heim die Liefervereinbarung ohne triftigen Grund aber nicht. Das hat Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag entschieden und ein Urteil des Oberlandesgerichts Celle (OLG) kassiert.
Direkt im Anschluss der Verhandlung verkündete der Vorsitzende Richter, dass das Urteil des OLG Celle aus dem vergangenen November aufgehoben wird. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor; das Heim muss der Apotheke jetzt knapp 14.000 Euro zahlen.
Die Apotheke hatte mit dem Alten- und Pflegeheim im März 2003 einen Liefervertrag geschlossen, der 2008 nach einer Umfirmierung des Betreibers verlängert wurde. 2013 forderte das Heim plötzlich ein neues Angebot, dass die Arzneimittelbelieferung inklusive einer kostenlosen Verblisterung beinhalten sollte. Als die Apotheke Ende September mangels Kapazitäten ablehnte, kündigte das Heim Anfang Dezember den Belieferungsvertrag zum Monatsende und ließ sich ab Januar 2014 von einer anderen Apotheke beliefern.
Die Apotheke warf dem Heim vor, die im Vertrag vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende nicht eingehalten zu haben, und forderte Schadenersatz in Höhe von mehr als 17.200 Euro. Dies entspreche dem entgangenen Gewinn für die Dauer von sechs Monaten, den sie aus den Umsätzen aus der Belieferung der Heimbewohner erzielt hätte.
Das Landgericht Hannover (LG) gab der Klage im März 2015 statt und verurteilte das Heim wegen Verletzung seiner Pflichten aus dem Vertrag zur Zahlung von 13.700 Euro. Zur Begründung hieß es, die vereinbarte Kündigungsfrist diene auch dem Schutz des Apothekers, der bei der Versorgung von Heimbewohnern die sachgerechte Kontrolle der Arzneimittelbestände zu übernehmen habe.
Das OLG kam jedoch zu einem anderen Ergebnis: Die Richter wollten sich gar nicht mit der Frage befassen, ob ein Grund zur fristlosen Kündigung bestand oder ob die vereinbarte Kündigungsfrist gemäß ihrem Wortlaut für beide Vertragsparteien galt. Heimlieferverträge gemäß Apothekengesetz (ApoG) haben laut Gericht nämlich grundsätzlich nur einen einzigen Zweck: die Versorgung der Heimbewohner mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten zu sichern.
„Schutzsubjekt […] sind nach diesem Verständnis allein die Heimbewohner beziehungsweise – mittelbar – auch das Heim selbst, nicht aber die Apotheke.“ Dies gelte folglich auch für die vertraglich geregelte Kündigungsfrist. „Diese soll gerade verhindern, dass ein Heim […] 'von einem Tag auf den anderen' ohne Apotheke dasteht, die seine Heimbewohner mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten versorgt.“
Demgegenüber dienten weder der Gesetzesparagraf zum Liefervertrag noch die vereinbarte Kündigungsfrist dem Interesse der jeweiligen Apotheke, die Versorgung eines Heimes weiterhin im bisherigen Umfang fortsetzen zu können. Ein Schadensersatzanspruch scheidet laut OLG aber auch „dem Grunde nach aus dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens“ aus.
Laut Gericht wäre das Heim auch ohne Kündigung berechtigt gewesen, alle Aufträge an eine andere Apotheke zu vergeben: Gemäß Liefervertrag blieb es dem Träger unbenommen, weitere Vereinbarungen gleichen Inhalts mit anderen Apotheken zu schließen. Das Heim war nur verpflichtet, den Apotheker unverzüglich darüber zu informieren. „Die Klägerin hätte in diesem Fall wirtschaftlich genauso gestanden wie sie nunmehr aufgrund des tatsächlich erfolgten Verhaltens der Beklagten steht“, hieß es im Urteil des OLG.
Damit sei das Heim gerade nicht verpflichtet gewesen, bis zum Ende der Vertragslaufzeit ausschließlich bei der Apotheke zu bestellen. Vielmehr hätte auch ohne Kündigung des bestehenden Vertrages der gesamte Lieferumfang an eine andere Apotheke vergeben werden können. Laut ApoG dürfen Heimlieferverträge die freie Apothekenwahl von Heimbewohnern nicht einschränken und keine Ausschließlichkeitsbindung zugunsten einer Apotheke enthalten. Sind mehrere Apotheken an Bord, müssen die Zuständigkeitsbereiche klar abgrenzt werden.
Schon gar nicht ist aus Sicht der Richter daher nachzuvollziehen, warum die Apotheke so gestellt werden wolle, als hätte sie bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterhin alle Aufträge des Heims erhalten. Und selbst wenn man davon ausgehe, dass der Apotheke wegen des Ausschließlichkeitsverbots ein Restumsatz zustehe, sei unklar, wo die Grenze zu ziehen sei: „Offen bliebe damit, ob beispielsweise eine Verlagerung von 70 Prozent des bisherigen Lieferumfanges der Klägerin auf eine andere Apotheke noch zulässig wäre, 75 Prozent aber nicht mehr.“
Zwei Kontrollüberlegungen stellte der Senat „aus Gründen prozessualer Vorsicht“ noch an, ohne sie sich aber zu eigen zu machen: Apothekeninhaber könnten „von vornherein kein schutzwürdiges Vertrauen darauf haben, dass der Lieferumfang, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages bestanden hat, auch während der weiteren Dauer der Vertragslaufzeit bestehen bleibt“.
„(Mindestens) theoretisch vorstellbar ist nämlich, dass ein erheblicher Teil der Heimbewohner verstirbt oder aus anderen Gründen das Heim verlässt, ohne dass andere Personen diese Plätze wieder besetzten oder nachziehende Personen gar keinen oder zumindest geringeren Medikamentenbedarf haben.“ In solchen Fällen wäre der Apotheker nicht berechtigt, vom Heimbetreiber Ersatz für den Gewinnausfall zu verlangen. „Dann aber ist nicht ersichtlich, warum dies bei einer Fallkonstellation wie der Vorliegenden im Ergebnis anders sein soll.“
Außerdem sahen die Richter keinen wirklichen Schaden: „Nach dem Kenntnisstand des Senats (die Ehefrau eines der Senatsmitglieder ist von Beruf Apothekerin) nehmen Apotheken in aller Regel keine 'Bevorratung' in dem Sinne vor, dass sie Medikamente für einen längeren Zeitraum von den Herstellern besorgen und dann 'auf Vorrat' bei sich liegen lassen.“
Dass im Einzelfall Medikamente für einen Zeitraum von ein bis drei Wochen im Voraus angeschafft würden, sei im konkreten Fall kein Problem: „Vorliegend liegt zwischen der Kündigung und dem Ablauf der Belieferungsfrist ein Zeitraum von mehr als drei Wochen.“
Apotheken haben im Verhältnis zu Heimbetreibern keinen guten Stand. Bei einer Umfrage von APOTHEKE ADHOC gaben 43 Prozent der Teilnehmer an, die Heimversorgung sei ein hartes Geschäft, das sich oft nicht lohne. Weitere 35 Prozent fanden, dass die Apotheke total abhängig sei und dass die Pflegeheime die Konditionen diktierten. Nur 17 Prozent sehen ein ausgewogenes Verhältnis: In den meisten Fällen profitierten beide Seiten. 3 Prozent erklärten, Apotheken hätten eine starke Position, da die Pflegeheime auf sie angewiesen seien. 2 Prozent hatten keine Meinung. An der Umfrage nahmen am 16. und 17. November 2015 385 Leserinnen und Leser von APOTHEKE ADHOC teil.
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