Knapp 500 zusätzlicher Kundenkontakte könnte jede Apotheke bekommen, wenn die Grippeimpfung in der Offizin konsequent durchgeführt wurde. Das rechnete Dr. Stefan Hartmann, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Apothekerkooperationen (BVDAK), zum Auftakt des Kooperationsgipfel in München vor. Für ihn ist das eine Jahrhundertchance. Mit Blick auf die Plattformen glaubt Hartmann, dass reine Click & Collect-Lösungen nicht ausreichen werden. Er forderte eine vollständige Vernetzung aller Apotheken.
Hartmann beklagte einen fundamentalen Glaubwürdigkeitsverlust auf der politischen Ebene, insbesondere bei der eigenen Standesvertretung: „Auch berufspolitisch erleben wir einen Glaubwürdigkeitsverlust, den wir so noch nie gesehen haben.“ Ihm fehlen „Visionäre, Strategen und Querdenker“, stattdessen habe man den Eindruck, dass hier „realitätsfernes Zunftdenken“ vorherrsche. Als Beispiele nannte er die Debatte um die Grippeimpfung in der Apotheke und die Lockerung des Botendienstes.
Hartmann ist großer Fan von Grippeimpfungen in der Apotheke. „Das wird mein Hauptthema sein dieses Jahr“, kündigte er für seine Apotheken an. Hier sieht er großes Potenzial, zumal Deutschland im europäischen Vergleich extrem niedrige Quoten habe. Um auf die EU-weit erwünschte Durchimpfungsquote zu erfüllen, müssten in Deutschland zusätzlich neun Millionen zusätzlicher Impfdosen verabreicht werden.
Sollten alle Apotheken die Dienstleistung anbieten, wären das 473 Kontakte in jeder Apotheke, oder in 3000 Apotheken 3000 Kontakten. „Das ist ein strategischer Schachzug. Wenn wir das schaffen, ist es eine Jahrhundertchance, wenn wir es nicht schaffen, sind wir tot. Ich hoffe, dass wir Apotheker mal den Arsch in der Hose haben“, wurde Hartmann deutlich.
Auch den Botendienst habe der Gesetzgeber liberalisiert, „gegen den Widerstand der Winkeladvokaten in unserer Standesvertretung“, sagte Hartmann. Die ABDA hatte sich in ihrer Stellungnahme gegen die Lockerung der Vorschrift ausgesprochen. Ob sich der Botendienst wirtschaftlich lohnt, war für Hartmann dabei in seinen Apotheken nie entscheidend. „Das ist eine strategische Entscheidung.“ Der liberalisierte Botendienst ist aus seiner Sicht jedenfalls „ein aktives Wettbewerbsinstrument“.
Zur wirtschaftlichen Lage der Apotheken verwies Hartmann auf eine aus seiner Sicht seit 15 Jahren überfällige Honorarerhöhung. Es könne nicht sein, dass die Apotheken einen Großteil ihres Betriebsergebnisses mit Großhandelsrabatten erwirtschafteten. Hartmann forderte erneut ein Rx-Versandverbot. Die ABDA habe sich abgewendet, obwohl im September sogar der Bundesrat das Verbot gefordert habe. Dabei habe der Pharmaziestudent Benedikt Bühler die erfolgreichste Petition der Geschichte in den Bundestag gebracht. „Und natürlich der BVDAK: Wir stehen nach wie vor hinter dieser Forderung.“
Das Rx-Versandverbot ist aus Sicht des BVDAK-Chefs nach wie vor die einzige Lösung für das Dilemma nach dem EuGH-Urteil. Und Hartmann ist überzeugt, dass die Apotheken sich unabhängig davon stärker vernetzen müssen. Auf einer Plattform allein ein Click & Collect anzubieten, werde nicht reichen. „Da werden wir mit scheitern“, ist Hartmann überzeugt. Apotheken müssten sich vernetzen und zwar über die Grenzen des eigenen Warenwirtschaftssystems hinaus.
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