Lieferengpässe sorgen seit Wochen für massiven Aufwand in den Apotheken – das Letzte, was die Teams jetzt brauchen, sind Aufforderungen, keine Medikamente zu hamstern. Nachdem diese eher zweifelhafte Aussage von Politik und Verwaltung gebetsmühlenartig wiederholt wurde, rudert das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nun zurück.
Hubertus Nehring von der Apotheke am Markt in Winsen an der Aller hatte im Dezember wegen der Engpässe einen Protestbrief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geschickt. „Es ist eine Unverschämtheit zu behaupten, es gäbe keine Lieferengpässe und wir Apotheken sollten den Wochenbedarf Ibuprofen-Säfte bestellen“, so der Apotheker in seinem Schreiben. Man könne derzeit so gut wie gar nichts bestellen, darüber hinaus gebe es Engpässe auch bei zahlreichen anderen Präparaten. „Wir sind hier nur noch am Improvisieren, brauchen für jeden Kunden Ewigkeiten, um ihm zu helfen. Und dann muss man sich so einen ‚Quatsch‘ aus Ihrem Ministerium anhören. Unglaublich das alles.“
Die Antwort erhielt Nehring am Tag vor Heiligabend – nicht von Lauterbach, sondern vom BfArM. Derzeit erhalte man eine Vielzahl von Mitteilungen aus öffentlichen Apotheken zur Darstellung der Situation vor Ort, so die zuständige Fachbereichsleiterin. „Der grundsätzliche Tenor ist kritisch und übermittelt das Unverständnis zur Einschätzung der aktuellen Verfügbarkeit der Fiebersäfte für Kinder. Wir wertschätzen diese Kontaktaufnahme und nehmen diese gerade aufgrund der realistischen Darstellung der alltäglichen Herausforderung vor Ort zum Anlass, um eventuelle Missverständnisse zu thematisieren.“
„Wir versichern Ihnen, dass dem BfArM die geschilderten Belastungen sehr wohl präsent sind und die Schilderungen auf umfassendes Verständnis stoßen. Mitnichten wird behördlicherseits die Auffassung vertreten, dass flächendeckend ausreichend Ware vorhanden ist und der bedarfsgerechte Nachschub als gesichert anzusehen ist.“ Dennoch sei man verpflichtet, in der Gesamtbewertung alle validen verfügbaren Daten in der Sachverhaltsermittlung zu berücksichtigen. Marktdaten belegten eine „heterogene Situation“. Auf seiner Website hatte die Behörde Zahlen von Iqvia veröffentlicht, nach denen die Einkäufe über den Abverkäufen liegen.
„Die sehr hohen und nach wie vor ansteigenden Erkrankungszahlen stellen eine Verschärfung der Situation dar, dennoch wird nachvollziehbar kontinuierlich Ware dem Markt zur Verfügung gestellt. Die Kumulation der Effekte durch einen unverhältnismäßig hohen Bedarf in Kombination mit der Tatsache, dass die Warenmenge ad hoc nicht beliebig erhöht werden kann, verdeutlicht unmissverständlich, dass eine bedarfsgerechte Verfügbarkeit nicht flächendeckend erfolgt.“
Mit einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung des Beirats habe man umgehend auf die sich abzeichnende weitere Einschränkung in der Verfügbarkeit reagiert. „Produktionserhöhungen, optimierte Verteilmechanismen, Kostenübernahme der Krankenkassen für Rezeptur- wie Defekturfertigungen, Empfehlung der altersgerechten Abgabe/Verschreibung von Darreichungsformen und andere Aspekte stellen insbesondere nach Auffassung des Beirates, in dem alle Fachverbände vertreten sind, eine Möglichkeit zur Optimierung des Einsatzes der vorhandenen Arzneimittelkontingente dar.“
Das BfArM stehe darüber hinaus seit August in einem regelhaften Austausch mit den Unternehmen, um kontinuierlich Angaben zu Produktionsmengen und potenzielle Reichweiten gemäß aktuellem Stand zu erhalten. „In der Evaluation werden alternative Darreichungsformen wie sogenannte Dominoeffekte gleichermaßen berücksichtigt.“
Ziel aller Aktivitäten des BfArM sei es, in Kooperation mit allen Beteiligten alle möglichen kompensatorischen Aspekte zu identifizieren und umzusetzen. „Gerade die Erfahrung und Fachkenntnis aus den öffentlichen Apotheken wird als wichtiger und zielführender Beitrag geschätzt.“ In einigen Fällen habe man aus Apotheken Hinweise auf strukturelle Defizite und entsprechende Verbesserungsvorschläge erhalten. „Das BfArM nimmt diese Initiativen aktiv auf und bringt sie in den etablierten Austausch, insbesondere mit den Fachverbänden, konstruktiv ein.“
Um die Einschränkungen mit den vorhandenen Mitteln zu minimieren, stehe man den Apotheken daher jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung. „Wir vertreten die feste Überzeugung, dass den Herausforderungen gemeinsam entgegengetreten werden kann und hoffen, Ihnen mit dieser Rückmeldung vermittelt zu haben, dass leichtfertige und ungeprüfte Einschätzungen zu keinem Zeitpunkt erfolgten.“
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