Gutachten: EU-Versandhandel diskriminiert Apotheken Patrick Hollstein, 10.05.2024 14:41 Uhr
„Das niederländische Recht genügt nicht den deutschen Sicherheitsstandards im Arzneimittelversand.“ Dies ist eine der zentralen Aussagen des Kurzgutachtens zur Unvereinbarkeit der arzneimittelrechtlichen „Länderliste“ von Dr. Fiete Kalscheuer und Dr. Nicolas Harding, das von der Freien Apothekerschaft (FA) in Auftrag gegeben wurde. Will heißen: EU-Versender haben es leichter als deutsche Apotheken – und das steht den beiden Experten zufolge nicht nur im Widerspruch zur Arzneimittelsicherheit, sondern auch zum fairen Wettbewerb.
Laut § 73 Absatz 1 Nr. 1a Arzneimittelgesetz (AMG) ist der Versandhandel aus einem anderen EU- oder EWR-Mitgliedstaat an deutsche Endverbraucher erlaubt, wenn er nach nationalem Recht zulässig ist und dies „dem deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die Vorschriften zum Versandhandel entspricht“. Grundlage für die Vergleichbarkeit bildet die sogenannte Länderliste des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), deren Rechtmäßigkeit die beiden Gutachter in Frage stellen.
Laut Analyse sind die Versender eigentlich an das deutsche Arzneimittelrecht, das Heilmittelwerberecht und das Apothekenrecht vollständig gebunden. Alle Vorgaben zum Betrieb einer Apotheke müssten gewahrt werden, insbesondere nach § 11a Apothekengesetz (ApoG). Zwar müssen die im jeweiligen Land geltenden Vorschriften nicht zwingend identisch zu den deutschen sein. „Entscheidend ist vielmehr, dass das ausländische Recht dem § 11a ApoG vergleichbare Sicherheitsstandards vorsieht.“
Das sei aber nicht der Fall. Moniert wird etwa „das eklatante Fehlen eines Sicherheitskonzepts für das Apothekenrecht im Allgemeinen und den Versandhandel mit Arzneimitteln im Besonderen“. Dazu heißt es: „Das niederländische Recht trifft keinerlei spezielle Regelungen zur Qualitätssicherung beim Arzneimittelversand. Vielmehr vertraut der niederländische Gesetzgeber auf eine freiwillige Selbstkontrolle, die dem deutschen Arzneimittel- und Apothekenrecht wesensfremd ist.“
Diametral entgegengesetzt
Gleiches gelte mit Blick auf das Fremdbesitzverbot, das es in den Niederlanden nicht gibt, weshalb große Apotheken in Form von Kapitalgesellschaften dort nicht unüblich seien und den Versandhandelsmarkt – insbesondere auch nach Deutschland – dominierten. „Besonders auffällig ist überdies der Umstand, dass der Versandhandel mit Arzneimitteln in den Niederlanden nicht an den Betrieb einer Präsenzapotheke gekoppelt ist, was der deutschen Grundkonzeption des Versandhandels von Apotheken diametral entgegenläuft.“
Problematisch sei vor diesem Hintergrund, dass die deutschen Behörden die Vereinbarkeit des niederländischen mit dem deutschen Arzneimittelrecht nicht überprüften. „Vielmehr ist mit Blick auf das Fehlen einer grenzüberschreitenden Verpflichtung zur Vollstreckungshilfe ausgeschlossen, dass eine ausländische Behörde die ansässigen Apotheken auch in Bezug auf die Einhaltung deutscher Vorschriften kontrolliert.“
Vorteil für Versender
„Die Vorgaben des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG werden insofern nicht gewahrt.“ Dadurch aber würden deutsche Apotheken benachteiligt, die sich an alle Regelung halten müssen und diesbezüglich auch strengen Kontrollen unterliegen. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive deutscher Apotheken und ihrer Betreiber:innen sei dieser Umstand nicht hinnehmbar: „Die Rechtslage ist mit der Wettbewerbsfreiheit der Apotheker nicht vereinbar. Aus dieser wird neben der Befugnis des Staates zu wettbewerbssichernden Maßnahmen auch eine staatliche Pflicht zum Ergreifen solcher Maßnahmen abgeleitet.“
Zwar sei anerkannt, dass die grundrechtliche Wettbewerbsfreiheit nicht vor privater Konkurrenz „auf dem Markt“ schütze. „Anders liegen die Dinge jedoch, wenn ein privater Konkurrent nicht nur hinzutritt, sondern durch den Staat in besonderer Weise gefördert oder bevorzugt wird, sodass dieser über Gebühr bessergestellt wird.“
Auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz werde verstoßen, da ein sachlicher Grund für die – ohnehin allenfalls in sehr engen Grenzen zulässige – „Inländerdiskriminierung“ nicht ersichtlich sei. Zwar würden die ausländischen Versandapotheken nicht bewusst privilegiert. Der rechtliche Status-quo stehe aber auch im Widerspruch zum Gesetzeszweck des Arzneimittel- und Apothekenrechts, das die Sicherheit des Verkehrs mit Arzneimitteln um Zwecke des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes sicherstellen solle. Dies wiederum sei verfassungsrechtlich durch den Schutz der körperlichen Unversehrtheit geprägt, die den Gesetzgeber dazu verpflichte, die Bevölkerung vor gesundheitlichen Gefahren zu bewahren.
Allgemeinverfügung oder Verwaltungsrichtlinie?
Wie nun gegen die „Länderliste“ vorgegangen wird, hängt davon ab, welche Rechtsform ihr beigemessen werde: Gegen eine Allgemeinverfügung seien Widerspruch und Anfechtungsklage möglich, wobei wegen der Veröffentlichung im Jahr 2011 die gesetzlichen Fristvorgaben bereits abgelaufen sein könnten. Es seien daher vor allem die Rücknahme oder der Widerruf nach §§ 48 und 49 VwVfG und das Wideraufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG in den Blick zu nehmen.“
Sollte es sich bei der „Länderliste“ nicht um eine Allgemeinverfügung, sondern um eine Verwaltungsrichtlinie handeln, käme eine Feststellungsklage in Betracht. Hier müsste erst geklärt werden, ob die fehlende Aktualisierung die deutschen Apotheker in ihren Rechten, insbesondere ihrer gleichheitsrechtlich aufgeladenen Wettbewerbsfreiheit, verletzt.