Die Grünen haben mal wieder ein Problem: Nach all den großen und kleinen Debatten um ihre Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock müssen sie nun schon zum zweiten Mal in diesem Wahlkampf eine Schmähkampagne über sich ergehen lassen. Bundesweit hängen vermeintliche Wahlplakate, die „Klimasozialismus“ und „Ökoterror“ verheißen. Apotheker Geert Oortmann ist ebenfalls kein Freund der Grünen – aber er hat Anstand. Für ihn war die Kampagne Grund genug, seine Verträge bei Ströer zu kündigen. Denn der Werbekonzern trage eine Mitverantwortung für die Inhalte, mit denen er deutsche Innenstädte zupflastert.
Die Grünen müssen sich schon wieder mit einer Negativkampagne gegen sich herumschlagen. Nachdem Baerbock Anfang Juni bereits in mehreren deutschen Medien als Moses zu sehen war – samt dem Claim „Wir brauchen keine Staatsreligion“ – hängen nun in zahlreichen deutschen Innenstädten Plakate, die auf den ersten Blick wie echte grüne Wahlwerbung aussehen. Auf grünem Grund werden Schlagworte mit Sonnenblumen markiert, es ist der klassische Grünen-Stil. Nur die Botschaften unterscheiden sich deutlich: Von „Ökoterror“, „Klimasozialismus“, „Industrie-“, „Arbeitsplatz-“ und „Wohlstandsvernichtung“ ist da die Rede.
Seit vier Tagen hängen die Plakate auch in Braunschweig, wo Oortmann seine Apotheke K10 betreibt. Und sie werden immer mehr, klagt er. Denn er stört sich an ihnen. „Dabei muss ich zugeben, dass ich im ersten Moment selbst etwas schmunzeln musste“, erklärt er. Er sei selbst kein Fan der Grünen, werde sie im September mit Sicherheit nicht wählen. „Aber das ist eine komische Form von Humor.“ Es gibt viele Menschen in Deutschland, die diese Form der Kampagnenführung nicht verstehen, ist er überzeugt: Viele würden nicht auf Anhieb erkennen, dass es sich nicht um echte Grünen-Plakate handelt. „Es steht ja noch nicht einmal drauf, wer das gemacht hat.“
Anders als bei der Kampagne im Juni, hinter der offen die neoliberale „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ stand, ist bei der jetzigen Aktion nicht transparent ausgewiesen, wer der Auftraggeber ist. Die Spuren führen allerdings in politisch abschüssiges Terrain: Verschiedenen Medienberichten zufolge steht hinter den Plakaten eine Hamburger Firma namens Conservare Communication, geführt vom ehemaligen CSU-Mitglied David Bendels. Er gibt nicht nur mit seinem Unternehmen die rechte Wochenzeitung „Deutschland Kurier“ heraus, sondern ist laut ARD auch Vorsitzender des „Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“, der in der Vergangenheit in mehreren Wahlkämpfen Plakate und Broschüren produziert hatte, die zur Wahl der AfD aufriefen. Dafür standen Bendels und sein Verein bereits 2018 im Verdacht, an heimlicher Wahlkampffinanzierung der AfD beteiligt gewesen zu sein.
Nun fährt Bendels also unter dem Claim „Grüner Mist“ eine bundesweite Diffamierungskampagne gegen die Grünen, inklusive tausender Plakate in Großstädten, Social-Media-Werbung und eigener Website. „Diese Art und Weise von Wahlkampf ist unanständig“, sagt Oortmann. Besonders störe er sich daran, dass das Werbeunternehmen Ströer sie durch den Verkauf der Plakatflächen ermöglicht. „Wenn ich diese Werbeflächen vermiete, dann muss ich auch Verantwortung für die Inhalte tragen, die ich da in der Öffentlichkeit zeige“, erklärt er. „Wenn jemand ein Plakat extra aufhängt wie bei Bundestagswahl, dann mag das ok sein. Aber das sind Werbeflächen, die eigentlich für den Verkauf bestimmt sind. Und dann sind die Aussagen auf den Plakaten auch noch faktisch unkorrekt. Das hat auf Plakaten, die nicht für Wahlkampf vorgesehen nichts zu suchen.“
Oortmann ist nicht der erste, der das kritisiert. Gegenüber der ARD verteidigte sich Ströer, als Plakatflächenvermieter nicht für die Inhalte und Gestaltung der Werbung verantwortlich zu sein. Außerdem könne das Unternehmen „keine Werbung ablehnen, die nicht gegen Gesetze oder freiwillige Selbstbeschränkungen verstößt“, erklärte ein Sprecher. Allerdings war genau das wohl zum Teil der Fall gewesen: Ströer habe mehrere Motive der Kampagne abgelehnt, weil sie nicht rechtskonform gewesen seien.
Oortmann hat unterdessen selbst Konsequenzen gezogen: Er hat seine Verträge bei Ströer gekündigt. Bisher nutzte er einen Service von Ströer Online Marketing zur Optimierung der Auffindbarkeit seiner Apotheke bei regionalen Google-Suchen. „Hiermit kündige ich mein Vertragsverhältnis mit Ihnen zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Ich bitte Sie, dies mir zu bestätigen“, schrieb er dem Ströer-Kundendienst, „um Sie unter Druck zu setzen und um an die Verantwortung bei Ihnen für Ihr analoges Portal zu appellieren.“ Er halte diese Art von Schmutz-Wahlkampf für gefährlich, erklärt Oortmann, und hoffe, dass sich Ströer vom öffentlichen Druck zum Umdenken bewegen lässt. „Die Grünen sind doch schon kaputt genug“, sagt er.
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