Zu spät ausgeliefert

Grippeimpfstoffe verfallen: Verbände fordern Entschädigung für Apotheken

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Berlin -

Corona plus Influenza: Der Worst Case, dass beide Viruserkrankungen gleichzeitig auftreten und Praxen und Kliniken überlasten, ist ausgeblieben. Doch auch die Nachfrage nach Grippeschutzimpfungen ist nach dem anfänglichen Run ausgeblieben. Die Apotheken drohen nun auf Ware sitzen zu bleiben. Thomas Preis, Verbandschef in Nordrhein, macht auch die verspätete Auslieferung der nationalen Reserve dafür verantwortlich. Auch sein Kollegen Holger Seyfarth aus Hessen fordert eine Entschädigung für die Apotheken.

Etwa 80 Prozent der Apotheken im Kammerbezirk Nordrhein lagern derzeit noch Grippeimpfstoffe der aktuellen Impfsaison. Das ist das Ergebnis einer Blitzumfrage des Apothekerverbands unter seinen Mitgliedern. Innerhalb von drei Tagen hatten sich Ende Januar rund 300 Apotheken zurückgemeldet, das sind etwa 15 Prozent der Mitgliedsapotheken. Vorrätig sind demnach sowohl Einzelimpfstoffe als auch Großpackungen, die 10 oder 20 Impfdosen enthalten. Der Wert der Ware wird auf 1,2 Millionen Euro geschätzt.

Der Verband geht davon aus, dass es bundesweit nicht anders aussieht – und entsprechend in den Apotheken noch rund 1 Million Impfdosen im Wert von über 10 Millionen Euro lagern, denen nun der Verfall droht. Denn in wenigen Wochen ist die aktuelle Impfsaison beendet. Apotheken, die in finanzielle Vorleistung getreten sind, drohen laut Verband auf diesen hohen Kosten sitzen bleiben. Ein Grund sei die späte Auslieferung der Nationalen Impfstoffreserve des Bundes durch die Impfstoffhersteller.

„Die hohen Lagerreserven in den Apotheken zeigen, dass die Apotheken ihren öffentlichen Versorgungsauftrag sehr ernst nehmen und auf eigene Kosten ausreichend viele Impfstoffe eingekauft haben“, erklärt Preis. „Wenn sie jetzt nicht mehr gebraucht werden, bleiben die Apotheken auf den Kosten sitzen. Das ist so nicht akzeptabel“, stellt der Verbandschef klar.

In zahlreichen Kommentaren hätten Umfrageteilnehmer ihr Unverständnis darüber kundgetan, dass sie hier in finanzielle Vorleistung treten mussten, um ihrem Versorgungsauftrag nachzukommen. Die Situation sei auch deshalb sehr unbefriedigend, weil die Bundesregierung die Honorare der Apotheker bei der Impfstoffversorgung extrem niedrig angesetzt habe, so Preis.

„Nach unserem Eindruck haben die vom Bundesgesundheitsministerium im Herbst angekündigten Reserven viel zu spät, teilweise sogar erst Anfang Dezember, die Apotheken erreicht“, verdeutlicht Preis. „Zu diesem Zeitpunkt gab es seitens der Ärzte aber keinen Nachfragebedarf mehr“, so Preis weiter. „Dass die Apotheken jetzt auf ihren Kosten sitzen bleiben sollen, nur weil sie aus Versorgungssicht richtig gehandelt haben, ist absolut inakzeptabel“, so der Verbandschef. „Die Vorratslagerhaltung der Apotheken bei Grippeimpfstoffen darf nicht einseitig zu Lasten der Apotheken gehen. Das Risiko muss von den Krankenkassen, Politik und Impfstoffherstellern mitgetragen werden“, so seine Forderung. Schließlich gehe es hier bundesweit um Grippeimpfstoffe in einem zweistelligen Millionenbetrag, die auf Kosten und zu Lasten der Apotheken zu verfallen drohten.

Nach Berechnungen des Apothekerverbandes hatten die Arztpraxen bis November schon mehr als 2 Millionen Grippeimpfstoffe über die Apotheken erhalten. Für die letzten Wochen des Jahres waren weitere Impfstoffe aus der Nationalen Impfreserve des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) angekündigt, die die Apotheken laut Verband viel zu spät erreicht haben.

Laut Holger Seyfarth, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbands (HAV), übersteigt der Verlust wegen des Verfalls in vielen Apotheken die Erlöse aus dem Impfstoffgeschäft. Auch er fordert die Politik auf, die Apotheken nicht auf den Kosten sitzen zu lassen: „Wer die Durchimpfungsrate der Bevölkerung für Grippe steigern will, muss sich auf das Engagement der Apotheken verlassen können. Faire Bedingungen helfen ihnen, ihren Versorgungsauftrag zu erfüllen.“ Blieben die Apotheken aber auf den Kosten nicht in Anspruch genommener Impfdosen sitzen, wirke das demotivierend: „Dann wird es nur noch Impfstoffversorgung nach Plan geben.“

Seyfarth sieht insbesondere jene Apotheken betroffen, die im Vertrauen auf die kurzfristige Lieferfähigkeit von Industrie und Großhandel im November noch Impfdosen nachbestellten, um die hohe Nachfrage von Arztpraxen und Privatpatienten zu bedienen. Diese Dosen trafen nur mit zeitlicher Verzögerung in den Apotheken ein, wo sie auf eine zwischenzeitlich deutlich reduzierte Nachfrage trafen.

„Natürlich ist die Saison noch nicht vorbei. Es lassen sich weiterhin Patienten gegen die Grippe impfen, was in der aktuellen Situation auch sehr sinnvoll ist“, so Seyfarth. Die Tatsache, dass Apotheken durch die Sicherstellung der Versorgung mit Grippeimpfstoffen ein erhebliches finanzielles Risiko eingehen, bleibe grundsätzlich jedoch bestehen und sei nicht hinnehmbar.

Schon Ende vergangenen Jahres hatten Teilnehmer einer aposcope-Umfrage ihre Kritik an der Organisation deutlich gemacht: Durch ein besseres Konzept in Sachen Logistik und Kommunikation hätten Engpässe vermieden werden können, waren 84 Prozent der Teilnehmer überzeugt. Insbesondere der Umgang mit der Nationalen Reserve war nach Ansicht von neun von zehn Befragten absolut intransparent. Spahns Krisenmanagement rund um die Verteilung von Grippeimpfstoffen hielten 78 Prozent für unzureichend. 53 Prozent der Befragten fürchteten, dass sie auf Grippeimpfstoffen sitzen bleiben werden.

Weil wegen der Corona-Pandemie mit deutlich höherer Nachfrage gerechnet wurde, hatte das BMG im Frühjahr 6 Millionen Dosen zusätzlich bestellt, sodass die Gesamtzahl bei 26 Millionen liegt. „So viele Impfdosen standen noch nie zuvor in Deutschland für die Grippeimpfung zur Verfügung“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn. Er wies darauf hin, dass im vergangenen Jahr lediglich 14 Millionen Dosen verimpft wurden – und damit aktuell fast doppelt so viele Dosen erhältlich seien.

 

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