Zurück zur Bedarfsplanung

Graue: Spahn hat Angst vor Blamage

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Berlin -

Das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beauftrage Gutachten zu den Folgen der Aufhebung der Rx-Preisbindung reicht nach Ansicht des Vorsitzenden des Hamburger Apothekervereins, Dr. Jörn Graue, nicht aus, um einen neuen Prozess vor dem Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu bestehen. Den Grund dafür das vermutlich erneute Scheitern sieht er im „Apothekenurteil“ von 1958: Damals seien die Richter zu dem Schluss gekommen, dass die Apotheken kein Integraler Bestandteil des deutschen Gesundheitswesens seien, so Graue, der auch Vorstandsvorsitzender des NARZ ist.

„Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gilt als besonders umtriebig“, beginnt Graues Editorial im NARZ-Infodienst Efaktum. Jetzt wolle er mit einem neuen Apothekengutachten die Preisbindung verteidigen. Was ihn dabei antreibe, sei allerdings weniger politische Gestaltungsfreudigkeit, „sondern Angst“. Und zwar davor, mit seinem Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) in Brüssel „krachend“ zu scheitern – so wie zuvor mit seinem Boni-Modell in der eigenen CDU/CSU-Bundestagsfraktion, so Graue.

Kippe nämlich die EU-Kommission das VOASG, komme es vor dem EuGH in Sachen Festpreise zu einem weiteren Verfahren. Das neue Gutachten, mit dessen Erstellung das Iges-Institut und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beauftragt wurden, solle für diesen Fall belastbares Datenmaterial liefern. Graue begrüßt, dass die Politik sich nun endlich in diese Richtung bewegt, bezweifelt aber, dass das geplante Gutachten ausreichen wird.

Die „Krux“ liegt laut Graue darin, dass der EuGH bereits mit seinem ersten Urteil zum DocMorris-Komplex von 2003 deutlich gemacht habe, dass wirtschaftliche Gründe per se nicht für ein Boni- beziehungsweise Versandhandelsverbot und somit für eine Beschränkung des freien Warenverkehrs sowie der Dienstleistungsfreiheit ausreichten. Ein derart schwerwiegender Eingriff wäre nach Auffassung der Luxemburger Richter nur zu rechtfertigen, wenn eine Regelung der Verkaufspreise für Arzneimittel „integraler“ Bestandteil des nationalen Gesundheitswesens sei, so Graue.

Bei der Preisbindung müsse es sich tatsächlich um eine wesentliche, sprich „tragende Säule des nationalen Gesundheitswesens handeln“, so Graue weiter. Tatsache sei aber, dass seit 2003 niemand eine entsprechende Erklärung beim EuGH eingereicht habe und die Argumente der Apotheker für die Erforderlichkeit der Arzneimittelpreisverordnung nicht vorgetragen worden seien. Daher könne eine wirtschaftliche Argumentation allein nicht zielführend sein. Im Mittelpunkt müsse stattdessen die Funktion des Versorgungssystems stehen.

Den „Kardinalfehler“ sieht Graue in einem noch länger zurückliegenden Rechtsstreit und dem daraus resultierenden „Apothekenurteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 1958 zur Niederlassungsbeschränkung. Die Richter hätten damals die Frage verneint, ob für die Arzneimittelversorgung beziehungsweise das Apothekenwesen – analog zur ambulanten wie stationären ärztlichen Versorgung – die bis dahin existierende Bedarfsplanung erforderlich sei. Das Gericht sei zu dem Schluss gekommen, dass „die Apotheken zwar einen wichtigen, aber nicht integralen Bestandteil des nationalen Gesundheitswesens darstellten“. Daraus habe sich eine Fehlentwicklung ergeben, die sich nach Graues Einschätzung „nur schwer wieder umkehren lässt“. Dennoch liege das nicht völlig außerhalb des Möglichen, meint Graue.

Die Politik setze auf sinkende Apothekenzahlen, so der NARZ-Vorstandsvorsitzende. Betrachte man die gesetzgeberischen Aktivitäten der letzten Jahre, so sei die Absicht der Bundesregierung zu erkennen, die Zahl der Apotheken schrumpfen zu lassen. Wenn dieser ungeregelte Prozess nicht aus dem Ruder laufen solle „und man eine ausschließliche Allokation der Apotheken in den Ballungszentren verhindern will“, komme man eigentlich nicht darum herum, das Thema „hoheitliche Bedarfsplanung“ wieder auf die Agenda zu setzen, schlägt Graue vor. Eine Kassenzulassung oder lageabhängige Strukturhilfen seien mit der grundsätzlichen Niederlassungsfreiheit durchaus vereinbar. So könnte die Arzneimittelversorgung reguliert und flächendeckend gewährleistet werden. „Aber hier verharrt die Politik im Tiefschlaf“, schließt Graue.

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