Die taggleiche Belieferung – neudeutsch Same Day Delivery – gehört in vielen Apotheken seit Jahrzehnten zum Standardservice. Doch das reicht aus Sicht des Anbieters Medikamendo heute nicht mehr aus: In Hamburg wird gerade die Lieferung in zehn Minuten getestet. Die teilnehmende Apothekerin glaubt selbst nicht so recht an das Angebot.
„Wir glauben an die Macht der Kundenzentrierung“, sagt Hanno Behrens, Chef von Medikamendo. „Das ist Digitalisierung: Sich auf den Endverbraucher fokussieren, nicht auf den Leistungserbringer.“ Angebote von Lebensmittelieferdiensten wie Gorillas oder Flink zeigten, was die Kund:innen heute wollten: Sofort beliefert werden, wenn der Bedarf da ist. Und genau das ist das Versprechen von Medikamendo: Die Arzneimittel sind innerhalb von zehn Minuten da, in der Theorie sogar verschreibungspflichtige Medikamente. Lieferzeiten: werktags von 9 bis 23 Uhr, am liebsten auch sonntags. Zu viele Abstriche dürfe es dabei nicht geben, weil das ganze Konzept sonst unglaubwürdig wäre, so Behrens.
Und wie soll das gehen? Die Apotheke bekommt einen relativ kleinen Lieferradius, im Hamburger Pilotprojekt sind es nur zwei Kilometer. Die Auslieferung übernehmen die Fahrer:innen von Medikamendo mit E-Bikes. Die Apotheke verpflichtet sich, die auf der Plattform gelisteten OTC-Medikamente, Freiwahlprodukte und Nahrungsergänzungsmittel jederzeit verfügbar zu haben und für die Abholung bereitzustellen. Die Auswahl kann die Apotheke selbst treffen.
Behrens geht davon aus, dass sich das Konzept nur in sorgfältig ausgewählten Mikromärkten funktionieren wird: hohe Bevölkerungsdichte, digital-affines, gut situiertes Publikum. Nächste Zielmärkte sind entsprechend das Hamburger Schanzenviertel und der Prenzlauer Berg in Berlin. Auch Hamburg-Winterhude erfüllt diese Kriterien. Hier betreibt Angela Bettin ihre Apotheke. Seit Juli testet sie das Modell, eine Mitarbeiterin ihrer Bettin’s Apotheke hat sie mit Medikamendo zusammengebracht.
Über das Portal können sogar Rx-Arzneimittel bestellt werden. Die Verbraucher:innen können ihren Arzt über Medikamendo zur Teilnahme auffordern. Bettin hat für das Pilotprojekt sogar einen Drucker gestellt bekommen. Die Idee: Der Patient oder die Patientin bestellt bei der Praxis ein Folgerezept und bittet um Übermittlung an die Wunschapotheke. Bettin erhält eine Art E-Rezept mit qualifizierter digitaler Signatur und druckt sich die Verordnung in der Apotheke aus.
Die Lieferung erfolgt dann entweder über eigenes Personal oder über die E-Bike-Flotte von Medikamendo. Die eigenen Fahrer seien übrigens froh, dass sie keine Bierflaschen durch die Gegend fahren müssten, sondern notwendige Medikamente, so Behrens.
Bei der Auswahl der Non-Rx-Produkte hat Bettin ihre Warenwirtschaft befragt und gecheckt, was im Notdienst läuft. Angeboten werden nur ausgewählte Produkte: Im Bereich Allergie/Heuschnupfen gibt es Desloratadin nur von 1A Pharma und Axicur, Nasensprays von Olynth, Otriven und Ratiopharm. Außerdem werden Augentropfen von Allergodil (auch als Kombipackung) und Livocab angeboten. Auch im Bereich Sodbrennen wird nur eine stark reduzierte Auswahl angeboten: Omep, Iberogast, Gaviscon und der Exot GSE Repair Rapid Acid. Dieselben Produkte tauchen auch in der Kategorie Magen/Darm auf, ergänzt um Imodium akut lingual.
Bettin zufolge wird das Angebot noch sehr bescheiden angenommen: Eine Handvoll Bestellungen pro Woche kämen über Medikamendo rein. Sie ist selbst nicht richtig überzeugt von der Idee: „Ich sehe nicht, dass sich das jemals rechnet.“ Die Inhaberin bezeichnet sich als konservativ, würde lieber auch so weiterarbeiten wie vor 20 Jahren. „Aber ich will meinen Beruf erhalten und lieber wissen, was passiert, statt irgendwann von Amazon überrollt zu werden.“ Und sie will die Achillesferse solcher Angebote kennen. Die dürfte langfristig vor allem in der Kostenstruktur liegen, wenn man auf die roten Zahlen der Anbieter in anderen Branchen guckt.
Das Minusgeschäft im Botendienst kennen Apotheken schon ohne fremde Hilfe. Bettin hat nach eigenen Angaben einen „exzessiven Botendienst“, die Fahrer seien täglich bis zu fünf Stunden unterwegs. Weil viele Kund:innen heute von dem Service der Apotheken ziemlich verwöhnt seien, findet Bettin den Gedanken eines kostenpflichtigen Botendienstes gar nicht so verkehrt. Medikamendo zum Beispiel nimmt 1,80 Euro. In ihrem Liefergebiet – Teile von Hamburg-Eppendorf, -Harvestehude und -Winterhude – seien die Menschen bereit, das zu zahlen, gäben oft deutlich mehr Trinkgeld.
Später sollen die Apotheken – je nach Nachfrage – für einen Platz bei Medikamendo bezahlen. Einzige Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass die Apotheke die Lieferfristen einhält. Wer das aus eigener Kraft nicht schafft, kann die Fahrer:innen von Medikamendo buchen. Eine Umsatzbeteiligung gibt es Behrens zufolge aber nicht.
Apothekerin Bettin entstehen bei dem Pilotprojekt keine Kosten, sogar der Stundenlohn für die Abdeckung außerhalb der Öffnungszeiten werde vom Partner übernommen. Trotzdem habe sie mit ihrem Mann – der in Hamburg ebenfalls eine sehr traditionelle Apotheke betreibt – über die Teilnahme an dem Projekt gestritten. „Wenn ich könnte, würde ich solche Entwicklungen verhindern, aber das kann ich nicht“, erklärt Bettin ihre Motivation. Dass Medikamendo bei einer Werbeaktion aber ausgerechnet vor anderen Apotheken Luftballons verteilt hat, fand sie dann doch etwas instinktlos.
Ob sich Medikamendo für eine Apotheke lohnt, ist die eine Frage. Die andere ist, ob die Einbindung externer Botendienste überhaupt zulässig ist. Die Abda ist überzeugt, dass es sich stets um eigenes Personal der Apotheke handeln muss. Und auch die Wettbewerbszentrale hat bereits Beschwerden zu Medikamendo erhalten und prüft den Sachverhalt derzeit.
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