Glücksfall im Notdienst: Apotheker:innen helfen ukrainischen Waisen Carolin Ciulli, 07.03.2022 14:24 Uhr
Die Zahl der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine steigt. Bisher sind es 1,5 Millionen Menschen – ein Großteil von ihnen sind laut der UNO-Flüchtlingshilfe Frauen und Kinder. In Freiburg fanden 157 ukrainische Waisen- und Heimkinder und 30 Betreuer Unterschlupf. Da die Kinder und Jugendlichen dringend medizinische Hilfe brauchten, rief der behandelnde Arzt in einer Apotheke an – und erreichte zufällig eine Approbierte, die sich für Apotheker ohne Grenzen Deutschland (AoG) engagiert.
Am 27. Februar konnten die 157 Kinder und Jugendlichen in Freiburg wohlbehalten aus den Reisebussen steigen. Die Erleichterung war groß. Sie kamen aus einem Kinderheim in der Nähe von Kiew, unweit von Flughäfen und militärischen Einrichtungen, wo schon zu Beginn des Krieges russische Panzer eingefahren sein sollen. Der Kontakt kam durch enge Kontakte in die Ukraine, die durch die Städtepartnerschaft Freiburgs mit dem ukrainischen Lwiw (Lemberg) bestehen, zustande. Der Kinderarzt Dr. Roland Fressle, der Vorsitzender der Organisation Refudocs Freiburg ist, untersuchte mit seinem Team die Ankömmlinge und benötigte dringend erste Medikamente für die noch nicht registrierten Flüchtlingskinder.
Apotheker ohne Grenzen nicht überall bekannt
Der Mediziner rief in einer notdiensthabenden Apotheke in Freiburg an und fragte nach verschiedenen Arzneimitteln. Am Apparat hatte er Emilia Neuwirt. Die Doktorandin ist neben der Arbeit an ihrer Promotion in einer Vor-Ort-Apotheke tätig und war gerade für den Notdienst eingeteilt. Sie vermittelte die Anfrage an die Apothekerin Dr. Bianca Weyer, die für AoG als Regionalkoordinatorin für Südbaden tätig ist. „Ich habe ihn gleich um 7 Uhr morgens angerufen“, sagt Weyer. „Er kannte Apotheker ohne Grenzen nicht, hat sich aber sehr über die angebotene Hilfe gefreut. Das ist leider die Realität. Ärzte ohne Grenzen sind überall bekannt, Apotheker ohne Grenzen nicht.“
Die beiden verständigten sich darauf, dass zunächst Arzneimittel zur akuten Versorgung beschafft werden sollten. „Kurzfristig ist es für uns möglich, für die erkrankten Kinder erst einmal Fiebersäfte, Nasensprays oder Elektrolytbeutel und weitere nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel zu besorgen,“ sagt Weyer. Es wurden OTC-Präparate im Wert von 700 Euro eingekauft. „Es musste schnell gehen, eines unserer Mitglieder hat den Betrag in Rücksprache mit dem Vorstand vorgestreckt und wir haben in einer öffentlichen Apotheke eingekauft. Noch am Tag der Anfrage konnten wir die vereinbarten Arzneimittel nachmittags an Dr. Fressler und die Refudocs Freiburg liefern. “
Die Kinder und Jugendliche erhielten die Arzneimittel ebenfalls noch am gleichen Tag. „Es war der schnellste Weg“, sagt Weyer. Der Arzt sei sehr dankbar über die schnelle und unbürokratische Organisation gewesen. Statt nur ein paar Packungen von der angefragten Liste zu erhalten, lieferte AoG eine breite Auswahl in größeren Stückzahlen. „Wir haben ihm eine langfristige Zusammenarbeit angeboten.“ Dafür würde ein Rahmenvertrag mit einem Budget erstellt. Zudem gebe es in diesen Fällen eine Arzneimittel-Kommissionssitzung, in der von Apotheker:innen von AoG gemeinsam mit den Ärzt:innen der Partnerorganisation eine Positivliste mit Medikamenten erarbeitet werde. „Wir unterstützen nicht wahllos mit Arzneimitteln, sondern nach Bedarf und leitliniengerecht.“
Weyer freut sich über die gelungene Aktion. „Es war für alle Beteiligten ein Glücksfall.“ Seit 2007 engagiert sich die Klinik-Apothekerin für Apotheker ohne Grenzen. „Ich habe schon als Studentin nach einer Organisation gesucht, in der ich als Pharmazeutin Hilfe leisten kann“, sagt sie. In Nepal war sie bereits für AoG vor Ort und an der Koordination von Schulungen und der Evaluation von Standardbehandlungsabläufen für gängige Erkrankungen in staatlichen Gesundheitsposten beteiligt.
„Keinen lässt das kalt“
Die Situation und der Krieg in der Ukraine seien „schrecklich“, sagt die Mutter eines einjährigen Sohnes. Bei ihrer Arbeit seien natürlich auch Emotionen dabei. Das Leid treffe viele Kinder, die bereits geflüchtet sind, noch vor Ort sind oder von ihren Eltern alleine weggeschickt werden. „Keinen lässt das kalt.“ Umso wichtiger sei es, nicht nur helfen zu wollen, sondern schnell und unbürokratisch professionelle Hilfe im pharmazeutischen Bereich anzubieten.
Mit der Organisation Refudocs sei ein erster Schritt in eine neue Partnerschaft gemacht worden. Kommt eine Zusammenarbeit zustande, sei es perspektivisch möglich, dass eine Apotheker:in mit zu den Flüchtlingen gehe und die Arzneimittel nach der Untersuchung durch die Ärzt:innen auch abgebe und die notwendige pharmazeutische Beratung dazu übernehme. Möglich sei, dass künftig noch mehr Flüchtlinge ankämen, da zwischen Freiburg und Lemberg ukrainische Busse unterwegs seien, die auch Hilfsgüter in die Kriegsregion schafften.
„Apotheker ohne Grenzen versorgen Menschen in aller Welt bedarfsgerecht mit hochwertigen Arzneimitteln. Dazu zählt nicht nur die Logistik und Lagerung, sondern auch die Beratung von Patienten und Fachpersonal zur korrekten Anwendung von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie die Schulung und Fortbildung zu medizinischen und pharmazeutischen Themen. Für uns als Regionalgruppe Südbaden hat sich sehr kurzfristig die Möglichkeit ergeben über die Arzneimittelspende an die Refudocs den Flüchtlingskindern aus Kiew mit Medikamenten zur Erstversorgung in Freiburg zu helfen. Das freut uns sehr“, sagt Weyer.