ApoRetro – Der satirische Wochenrückblick

GKV-Positionspapier: Mobile Notdienstapotheke

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Berlin -

Während Union und SPD in geheimen Koalitionsverhandlungen stecken, bringen sich die Interessengruppen in Stellung. Die Abda feilt an einem Zukunftskonzept, derweil kommen die Kassen mit eigenen Vorschlägen um die Ecke. Die Notdienstapotheke in ihrer heutigen Form hat nach Ansicht der GKV-Vertreter ausgedient.

Mitten in der Nacht klingelt es an der Tür; eine freundliche Notdienstapothekerin begrüßt eine verzweifelte Mutter. Der Fiebersaft sei ausgegangen, das Kind quäle sich mit hoher Temperatur im Bett. Nur ein Griff – schon hat die Helferin in der Not das richtige Präparat zur Hand. Dazu eine Medizini und ein Traubenzückerchen. Tür zu, gute Nacht, gute Besserung.

Eine solche Szene spielt sich täglich tausendfach in Deutschland ab – so weit, so unspektakulär. Nur gibt es an dieser Notdienstsituation aber einen gravierenden Unterschied: Er spielt nicht etwa an der Notdienstklappe der Apotheke, sondern an der Haustür der übernächtigten Mutter. Die Pharmazeutin leistet neuerdings einen mobilen Notdienst: Kein Weg ist ihr zu weit, um den Patientinnen und Patienten in jedweder Notlage zu helfen.

Tatsächlich war die fahrende Apotheke aber keine Idee aus dem Zukunftskonzept der Abda, sondern eine Innovation aus dem Lager der Kassen. Kaum wurde der Vorschlag gemacht, den Notdienst der Apotheken besser zu vergüten, kam die Replik: Warum Geld mit der Gießkanne verteilen und starre Strukturen erhalten, wenn man das System ganz einfach anders aufstellen kann? Patientinnen und Patienten muss doch gar nicht zugemutet werden, nachts im angeschlagenen Zustand das Haus zu verlassen. Ohnehin sind Notdienstapotheken doch nie dort, wo sie gerade gebraucht werden – und die Wege werden wegen des anhaltenden Apothekensterbens eh immer länger. Viel effizienter und komfortabler wäre es also, wenn die Apotheke direkt zu ihnen käme. Wer die Pauschale will, der soll sie sich auch verdienen!

So wurde das Notdienstsystem auf eine mobile Lösung umgestellt: Wer einen entsprechenden Bedarf hat, ruft den Apothekennotdienst herbei, nach kurzer Zeit fährt das Botendienstauto vor und liefert das dringend benötigte Arzneimittel. Mehr Geld gibt es nicht, die zusätzlichen Kosten wurden in einem Gutachten komplett gegen Einsparungen bei Strom und Miete aufgerechnet. Passt Ihnen nicht, liebe Apothekenvertreter? Wir hätten auch noch die Selbstdispensation im Angebot ...

Leider lief das neuartige Konzept ziemlich schnell aus dem Ruder. Immer wieder wurden nämlich diensthabende Apothekerinnen und Apotheker nicht nur wach-, sondern auch rausgeklingelt, weil Babynahrung und Toilettenpapier knapp geworden waren. Und damit nicht genug: Der ganz normale Notdienstwahnsinn übersetzte sich praktisch nahtlos auf das Konzept der Apothekerin to go: Was mit Nasenspray und Hustenbonbons begann artete schon bald in eine Pille danach frei Haus inklusive Beratungsgespräch durch den Türspalt aus. Und ausgerechnet kurz nach Mitternacht – wo auch die städtischen Einzelhändler bereits die Schotten dicht gemacht haben – geht das Mizellenwässerchen für den nächsten Morgen aus.

Schnell war das ausgeklügelte System überlastet: Anrufe aus anderen Notdienstkreisen wurden schließlich umgeleitet, weil dort der Routenplaner schon so viele Anfragen im Speicher hatte, dass die Kollegen noch tagelang mit den offenen Anfragen beschäftigt waren. Ein Kollege aus Bayern, so wird gemunkelt, ist eine Woche nach seinem Notdienst noch immer im Raum Lübeck unterwegs, weil er die angegebene Hausnummer nicht gefunden hat. Dabei steht der nächste Dienst schon ins Haus.

Tatsächlich werden die Wege im Notdienst immer weiter, obwohl die Frequenz für Apothekerinnen und Apotheker immer dichter wird. Nirgends wird das Apothekensterben so gut sichtbar wie bei der Versorgung nach Feierabend. Mit 483,14 Euro wurde gerade bei der Notdienstpauschale zwar gerade ein neuer Rekord erreicht – was aber vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Zahl der geleisteten Notdienste 2024 auf rund 88.000 je Quartal abgesackt ist.

Trotzdem ist die Sache nach wie vor ein Zuschussgeschäft: Laut Landesapothekerkammer Baden-Württemberg kostet ein 24-Stunden-Notdienst durchschnittlich 1943,48 Euro. Weder die Pauschale noch die Umsätze fingen diese Kosten auch nur annähernd auf.

Schon in der geplanten Apothekenreform von Karl Lauterbach (SPD) war vorgesehen, die Apotheken vor Ort durch eine bessere Vergütung des Notdienstes zu stärken. Andererseits könnte auch hier schnell das Ende der Fahnenstange erreicht sein: Wie kann man es den Beitragszahlern vermitteln, dass der Notdienst sie noch mehr Geld kostet, obwohl er immer weniger einer wohnortnahen Versorgung entspricht?

Auch über eine Vorhaltepauschale für Apotheken wird schon diskutiert, doch hier sind ähnliche Abgrenzungsprobleme zu erwarten. Auch Dr. Sebastian Schmidt, Inhaber von drei Apotheken in Tübingen, hat sich Gedanken gemacht, wie ein faires Honorarmodell aussehen könnte: Mit einer pauschalen Erhöhung des Fixums sei der Apothekerschaft aber nicht geholfen, so sein Fazit.

Das Dilemma wird also die neue Bundesregierung lösen müssen. Am Rande der Koalitionsverhandlungen wird bereits offensichtlich, dass sich Leistungserbringer und Kostenträger unversöhnlich gegenüber stehen: Während die Heilberufe eine fällige oder überfällige Honoraranpassung fordern, wollen die Kassen die Rücknahme von „Honorargeschenken“ genauso wie die Rückzahlung ungenutzter pDL-Gelder. Seit Monaten schon schlagen sie Alarm angesichts desolater Finanzen und trommeln für ein Sparpaket. Und weil sich ausgerechnet bei den großen Ausgabenpositionen – Kliniken und Big Pharma – nur schwer etwas holen lässt, sollen abermals die Kleinen ran.

Bei den großen Fragen bleibt der Diskurs weiter im Ungefähren, keine Seite traut sich über die einschlägigen Buzzwords hinaus – wobei mit nachhaltige Finanzierung, Entbürokratisierung und Flexibilisierung je nach Lager etwas ganz anderes gemeint ist. Das gemeinsame Positionspapier von Abda, KBV, KZBV und DKG wurde prompt vom AOK-Bundesverband zurückgewiesen: zu unkonkret, zu sehr Wunschkonzert.

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