Gewinnspiel-Strafen gehen an Realität vorbei Carolin Ciulli, 05.09.2019 10:18 Uhr
Schulbeginn, Neueröffnung, Ostern: Zahlreiche Apotheken nutzen besondere Events für Gewinnspiele oder bieten spezielle Aktionen an, um Kunden an ihren Betrieb zu binden. Inhaber für das Eigenmarketing wegen der angeblichen Verletzung der Berufspflichten anzuklagen und mit Geldbußen zu bestrafen, ist realitätsfremd, Warum sollten sich „eingetragene Kaufmänner“ nicht auch wie Kaufleute verhalten? Ein Kommentar von Carolin Ciulli.
Natürlich sollten die Aktionen in Apotheken geschmackvoll und passend inszeniert werden – sie müssen ethisch stimmig sein. Immerhin sind die Betriebe keine Jahrmarktsbuden, sondern helfen Menschen mit teils ernsthaften Erkrankungen. Doch auch diese Kunden dürften sich über etwas Abwechslung und Spaß freuen. Die meisten Inhaber kennen ihre Kundschaft sehr gut und sind durchaus in der Lage, abzuschätzen, was wie ankommt. Gezwungen wird immerhin niemand, bei einem Gewinnspiel mitzumachen.
Apothekern kann man schon zutrauen, gleichzeitig Gewinnspiele anzubieten und ihren Beruf gewissenhaft auszuüben, dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Nur weil die öffentlichen rechtlichen Sender die Lotto-Zahlen präsentieren, wird ihnen doch auch kein Zuschauer unterstellen, nicht mehr vertrauenswürdig zu berichten.
Eine Kammer, die ihre Mitglieder deshalb juristisch angreift, agiert praxisfremd. Denn Wettbewerb unter Apotheken gibt es nun einmal. Pharmazeuten müssen sich heutzutage abgrenzen, um wirtschaftlich überleben zu können. Letztlich entscheidet der Kunde, in welcher Apotheke er sich am besten aufgehoben fühlt. Natürlich sollen die Kunden dadurch letztlich lieber in die eigene Apotheke kommen, als an einem anderen Standort ihre Medikamente oder Freiwahlprodukte abzuholen. Na und?
Gewinnspiele können trotzdem nicht immer direkt mit „Gewinnstreben“ verbunden werden. Denn bei dieser Form von Kundenbindung geht es vielen Teams auch darum, dass sich die Kunden wohl fühlen. Gerade in ländlichen Regionen kennt man sich, der Betrieb ist zu einem der letzten sozialen Anlaufpunkte geworden. Apotheken bieten vielerorts Events wie Kosmetikberatungen inklusive Prosecco und Snacks, „Entenangeln“ für Kinder oder regelmäßige Glücksrad-Gewinnspiele an. Ist das auch übertrieben?
Warum sollten Kunden durch Lose nicht animiert werden, mehrmals im Monat eine Apotheke zu besuchen. Immerhin gibt es in der Offizin nicht nur Arzneimittel, sondern auch Bonbons, Haarmasken oder Vitamine in Kleinpackungen. Der Vorwurf, mit Losen zum Arzneimittelkauf anzuregen, die unter Umständen gar nicht benötigt würden, ist überzogen, da in einer modernen Apotheke mehr als nur Medikamente angeboten werden. Darüber hinaus preisen zahlreiche Apotheken Dauerrabatte von beispielsweise 50 Prozent an – locken diese nicht auch regelmäßig in die Offizin?
Die Berufsrichter scheinen aus einer anderen Zeit zu stammen, wenn ein Event und der Verweis auf einen Gewinn automatisch mit einer unseriösen Arzneimittelversorgung einhergehen sollen – was für ein starker Vorwurf. Approbierte und PTA sind durchaus in der Lage sich trotz eines Gewinnspiels auf ihre Kernaufgabe zu fokussieren. Dass ein Gericht zu solch einer Unterstellung kommt, kann man kaum glauben. Auch die Schärfe der Kammer geht an der Realität vorbei und führt letztlich nur zu Verunsicherung im Berufsstand.