Kommentar

Gesucht: Schutzimpfung gegen die Angst

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Berlin -

Die Impfquoten gegen Grippe sind Jahr für Jahr zu niedrig, was in Zeiten von Corona doppelt ungünstig ist. Der Gesetzgeber will die Apotheken ins Boot holen und mit neuen Kompetenzen ausstatten. Und die Apotheker? Haben Bedenken. Das ist schade, kommentiert Chefredakteur Alexander Müller.

Ein einziges Modellprojekt haben die Apotheker seit Weihnachten 2019 auf die Beine gestellt. Damals hatte der Bundesrat das Masernschutzgesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn durchgewinkt und damit den Weg frei gemacht für die Impfung in der Apotheke – nicht gegen Masern (oder Corona), aber immerhin gegen die Grippe. Nur die Apothekerkammer Nordrhein mit der AOK Rheinland/Hamburg ist allerdings startbereit.

Die anderen Kammern waren zu beschäftigt mit Corona oder haben schlicht Angst vor der Rache der ärztlichen Kollegen. Einzelne haben sogar gemeinsam mit den Ärzten erklärt, dass man sich apothekerlicherseits heraushalten werde. Fast hat man das Gefühl, die Apotheker fordern den Protest der ärztlichen Kollegen im Geiste Salernos ein. Und der kommt dann auch wie bestellt: Ein „Angriff auf die ärztlichen Leistungen“ sei das Projekt, wettern die dieselben Ärzte in Nordrhein, die sonst gerne über ihre Überbeschäftigung klagen.

Was ist das für eine merkwürdige heilige Angst vor dem Zorn der Halbgötter in Weiß? Die Apotheker sollen doch keine Diagnosen stellen und keine Patienten behandeln. Sie sollen gesunde Menschen gegen Grippe impfen, was in Arztpraxen bislang auch keine übertrieben beratungs- oder betreuungsintensive Tätigkeit ist. Und wohlgemerkt: Der Vorstoß kam nicht von den Apothekern. Nein, der Gesetzgeber wünscht sich diese Ausweitung für die Immunität seiner Herde. Das sollten die Apotheker auch im Hinterkopf haben, wenn sie Sorge haben, jemanden zu verärgern.

Und dann gibt es die wirtschaftlichen Bedenken: Dass das Ganze ein Zuschussgeschäft werden könnte, dass die Prämien für die Haftpflichtversicherung steigen. Das mag alles sein, ist am Ende aber auch Verhandlungssache. Und perspektivisch ist es eine Chance für die Apotheker, sich für weitere Aufgaben abseits der Arzneimittelversorgung zu empfehlen und damit auch wirtschaftlich unabhängiger davon zu machen. De facto tun sie das schon heute mit Services und Dienstleistungen, die meist überhaupt nicht vergütet werden.

Inhaltlich gut vorbereitet ist der Berufsstand ohnehin wie selbstverständlich. Die Bundesapothekerkammer (BAK) hat sehr umfangreiche Leitlinien und Arbeitshilfen zur Durchführung der Modellvorhaben erarbeitet. Die Apotheker sind bereit, sie müssen sich nur trauen. Es gilt, die Angst vor der eigenen Courage zu überwinden und dieses Thema für sich zu erschließen.

Die Nachfrage nach der Grippeimpfung wird in der diesjährigen Saison größer sein als je zuvor. Und hoffentlich bald wird es einen Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus geben. Wenn sich die Apotheker jetzt geschickt und mutig in Stellung bringen, kann das nur positive Auswirkungen auf das Ansehen und die Attraktivität des Berufes haben.

 

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