Betrugsfall muss neu verhandelt werden

Gericht verpfuscht Apothekerurteil Alexander Müller, 05.05.2022 08:01 Uhr

Das Landgericht Berlin muss den Fall eines Apothekers wegen schwerer Verfahrensfehler erneut verhandeln. Foto: shutterstock.com/ Alexander Kirch
Berlin - 

Ein Apotheker aus Berlin soll einer HIV-infizierten Patientin Rezepte abgekauft und diese abgerechnet haben, ohne die Arzneimittel herausgegeben zu haben. Er wurde verurteilt, hatte aber mit seiner Revision zunächst Erfolg: Denn das Landgericht Berlin muss in seiner Urteilsbegründung reichlich geschlampt haben, so dass die Entscheidung vom Kammergericht Berlin aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen wurde.

Vom Amtsgericht Tiergarten wurde der Apotheker Anfang 2019 wegen Betruges in 13 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung verurteilt, zudem wurde die Einziehung von knapp 27.000 Euro angeordnet. Das Landgericht Berlin änderte das Urteil im Juli 2021 das Urteil ab und verurteilte den Apotheker wegen „elffachen Betruges“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung. Die Freisprechung des Angeklagten im Übrigen unterblieb aufgrund eines „Redaktionsversehens“. Die Einziehung des Wertes wurde auf rund 23.500 EUR angesetzt.

Der Inhaber zwei Apotheken in Berlin hat nach den Feststellungen des Gerichts einer betäubungsmittelabhängigen Frau, die auch als Zeugin vor Gericht auftrat, ihr ärztliche Rezepte über hochpreisige Medikamente zur Behandlung ihrer HIV-Infektion abgekauft, um diese sodann bei der Kasse einzureichen. Statt der Medikamente erhielt die Frau 100 bis 250 Euro je Rezept. 22 Verordnungen soll er zwischen Februar 2011 und März 2012 angekauft haben, elf davon wurden bei den Kassen eingereicht. Erstattet wurden in diesen Fäkken insgesamt jene rund 23.500 EUR.

Doch das Kammergericht kippte die Entscheidung: „Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung keine tragfähige Grundlage für die getroffenen Feststellungen bietet“, heißt es in der Begründung. Die Beweiswürdigung weise grundlegende Darstellungsmängel auf und entspreche nicht den Anforderungen der Strafprozessordnung.

Die Richter am Kammergericht wirken fast schon genervt von der Vorinstanz. Man habe das Landgericht „bereits früher darauf hingewiesen, dass die Beweiswürdigung keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen soll, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind“.

In diesem Fall habe die Strafkammer aber auf neun einzeilig, überwiegend absatzlos und auch im Übrigen eng beschriebenen Seiten Angaben einer Zeugin vermutlich vollständig in direkter Rede wiedergegeben. Es sei nicht Sache des Revisionsgerichts, die maßgeblichen Umstände, die den Urteilsspruch stützen könnten, herauszusuchen. Die anschließende Würdigung dieser Aussagen sei zudem „nur schwer nachvollziehbar, in anderen Teilen unverständlich und in sich widersprüchlich“. Die Beweiswürdigung ist laut Kammergericht noch aus anderen Gründen fehlerhaft.

Freispruch im Tenor vergessen

Aufgrund der Mängel hob das Kammergericht das Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin zurück. Nicht davon umfasst waren zwei angeklagte Fälle von Rezeptabgaben, in denen der Apotheker freigesprochen wurde. Zwar habe das Landgericht versäumt, dies in den Urteilstenor aufzunehmen. In den Urteilsgründen sei aber hervorgehoben worden, dass dies allein aufgrund eines „Redaktionsversehens“ geschehen sei.

Vorsorglich weist das Kammergericht noch darauf hin, dass es sich entgegen den Ausführungen in der Revisionsbegründung um keine „Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“ handelt. Die liege nur vor, wenn ein Angeklagter allein durch die Aussage eines einzelnen Zeugen belastet werde und objektive Beweisumstände fehlten. Hier würden aber die Angaben der Zeugin M. dem Grunde nach durch eine Vielzahl von Urkunden bestätigt. Angaben von Mitarbeitern des Angeklagten stützten die Aussage zudem. „So gab etwa der Zeuge R. an, der Angeklagte habe Kunden mit HIV-Medikamenten selbst bedienen wollen. Die Zeugin K. bestätigte die von der Zeugin M. beschriebene Kameraüberwachung in der Apotheke.“ Mit einer fundamental anderen Entscheidung kann der angeklagte Apotheker also nach Lage der Dinge nicht rechnen.