Constella-Kostenübernahme

Geheime Absprache: Kasse gibt Retax-Ehrenwort

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Berlin -

Bei der Abgabe des Reizdarmmittels Constella (Linaclotid) begeben sich Apotheker auf dünnes Eis. Denn die Kassen müssen die Kosten wegen der fehlenden N-Größe nicht übernehmen. Der Hersteller Allergan hatte das Präparat zur Behandlung des Reizdarmsyndroms 2017 bewusst außerhalb der Packungsgrößenverordnung (PackungsV) auf den Markt gebracht – und damit sowohl Kostenübernahme als auch Einzelimport blockiert. Nun wird Apothekern mündlich von den Kassen versprochen, keine Retaxation vorzunehmen. Doch nicht jeder Inhaber will sich darauf einlassen.

Constella wird zur symptomatischen Behandlung des mittelschweren bis schweren Reizdarmsyndroms mit Obstipation (RDS-O) bei Erwachsenen angewendet. Hierzulande ist nur eine Großpackung für vier Monate mit 112 Hartkapseln erhältlich. Das Arzneimittel wird offiziell als Selbstzahlerleistung angeboten. Eine Pflicht zur Kostenübernahme durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) besteht nicht.

In begründeten Einzelfällen sei es bei den meisten Kassen aktuell gelebte Praxis, den Patienten die Kosten für Constella zu erstatten, sagt eine Firmensprecherin. Auch ein Apotheker aus Hessen machte diese Erfahrung – allerdings mit fadem Beigeschmack. Eine Kundin legte ein Rezept mit dem Linaclotid-haltigen Arzneimittel vor. Da die N-Größe fehlte, rief er bei der Kasse wegen der Erstattung an.

Der Servicemitarbeiter erklärte ihm, dass die Kosten übernommen würden. „Er weigerte sich jedoch, mir das schriftlich zu bestätigen.“ Stattdessen sollte auf dem Rezept der Name des Ansprechpartners bei der Kasse vermerkt und dadurch eine Retaxation ausgeschossen werden. „Ich kaufe doch auch kein Auto ohne Vertrag“, so der Apotheker. Die Situation sei weder für ihn als Pharmazeuten noch für die Patientin befriedigend.

Constella kostet rund 260 Euro. Der Apotheker informierte die Patientin, dass er keine schriftliche Bestätigung zur Kostenübernahme erhalte. Er erklärte ihr, dass sie es selbst zahlen und die Rechnung bei ihrer Kasse einreichen könne. „Vielleicht lässt sich eine andere Apotheke darauf ein, mir ist das zu heiß.“ Letztlich ging die Kundin zu einem Mitbewerber.

Hintergrund für die fehlende Normgröße ist ein zurückliegender Streit zwischen dem früheren Anbieter Almirall und dem GKV-Spitzenverband. Der spanische Hersteller hatte Constella 2013 eingeführt, sich im AMNOG-Verfahren aber nicht auf einen auskömmlichen Preis mit dem GKV-Spitzenverband einigen können. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte keinen Zusatznutzen gesehen; im Rahmen dieser Vergleichstherapie sollten daher lediglich die Jahrestherapiekosten für den Wirkstoff Mebeverin herangezogen werden.

Daraufhin wurde Constella in Deutschland vom Markt genommen. Finanziell habe es keine andere Wahl gegeben, kommentierte Almirall-Chef Farid Taha 2014. Der Preis spiegele den Innovationscharakter und den Nutzen für die Patienten „in keinster Weise“ wider.

Ein entsprechendes Gerichtsverfahren zum Schiedsspruch wurde 2018 vom Landessozialgericht Berlin/Brandenburg zugunsten von Almirall entschieden. Doch der GKV-Spitzenverband zog daraufhin vor das Bundessozialgericht (BSG), erst im März wurde in Kassel verhandelt. „Um Constella trotzdem auch in Deutschland wieder verfügbar zu machen, blieb uns nur der Weg einer Großpackung außerhalb der Packungsgrößenverordnung, die nicht erstattbar ist. Andernfalls könnten Patienten in Deutschland das Produkt gar nicht beziehen oder müssten Constella umständlich über Einzelimporte aus dem europäischen Ausland beziehen“, so die Sprecherin.

Die verfügbare Packung sei zwar teurer als der von der AMNOG-Schiedstelle festgelegte Preis, aber immer noch deutlich günstiger als der Bezug über internationale Apotheken. Im Ausland sind Packungen mit je 28 Kapseln verfügbar. Das Präparat ist etwa in Spanien zugelassen. Da es auch hierzulande erhältlich ist, sind Einzelimporte kleinerer Packungen nicht möglich.

Constella wird einmal täglich oral eingenommen. Der Wirkstoff Linaclotid ist ein Guanylatzyklase-C-Agonist (GCCA). Das Peptid aus 14 Aminosäuren greift an den Rezeptor an, der sich in der Zellmembran von Darmzellen befindet und die Exkretion von Wasser und Chlorid reguliert. Linaclotid löst so die Obstipation. Eine der häufigsten Nebenwirkung ist Diarrhoe.

RDS-O ist eine funktionelle Darmerkrankung, die durch abdominelle Schmerzen, Distension und Obstipation charakterisiert ist. Die Ursachen sind bisher nicht geklärt. Die Symptome sind vermutlich die Folge einer Funktionsstörung des Magen-Darm-Trakts und des Nervensystems.

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