Gehe/Alliance: Schreiner weg, Belegschaft in Sorge Patrick Hollstein, 02.11.2020 13:16 Uhr
Bei Gehe/Alliance werden jetzt Fakten geschaffen. Die Fusion der beiden Großhändler wurde zum 1. November vollzogen, die beiden Mutterkonzerne feiern den Zusammenschluss mit blumigen Worten. Doch in der Belegschaft ist die Sorge groß.
Am Freitag wurde bei Gehe in einer bundesweiten Telefonkonferenz über den Start des Joint Ventures zum 1. November informiert; viele Mitarbeiter haben erst heute früh davon erfahren. Man wolle das Beste aus beiden Unternehmen zusammenbringen, so die Botschaft. Einen fließenden Übergang soll es geben, um weder Kunden noch Mitarbeiter zu verprellen. Vorerst sollen Gehe und Alliance Healthcare Deutschland (AHD) parallel laufen, das Bild von MediaMarkt und Saturn wurde schon in den vergangenen Wochen bemüht. Dass Geschäftsführer Peter Schreiner von Bord geht, ist allerdings ein klares Zeichen, dass auf alte Strukturen keine Rücksicht genommen wird. Auch Finanzchef Holger Landauer ist weg, er ist zurück auf Konzernebene zu McKesson gewechselt.
Bei AHD wurden die Mitarbeiter nach Unternehmensangaben zeitgleich informiert. Ein Insider, der namentlich nicht genannt werden will, schildert das Ganze so: „Erst mit einem nichtssagenden Schreiben, dann mit einer Videobotschaft von Ornella Barra, in der sie sich selbst und dem amerkanischen Konzern huldigt und ihre Karriere neben die der langjährigen deutschen Großhandelsunternehmen stellt.“ Nur Deutschlandchefin Aline Seifert habe sie gedankt, aber ansonsten kein Wort an die Mitarbeiter gerichtet. Danach habe es noch einige nichtssagende Mails der Geschäftsleitung gegeben.
In der Belegschaft von AHD fühlt man sich nicht ausreichend in Kenntnis gesetzt. Der Betriebsrat versuche seit Monaten, Details über die unternehmerischen Absichten zu erfahren. Aber Anfragen seien blockiert und ignoriert worden, sagt der Mitarbeiter. „Die Kommunikation der AHD setzt sowieso in allen Bereichen auf Verschweigen und Vernebeln“, so seine Meinung. Auch wenn die Kommunikation als das wichtigste Gut bezeichnet werde, sei die Realität von einer durch Angst und Unterwürfigkeit gegenüber der amerikanischen Unternehmensleitung geprägt. „Offensichtlich haben alle Führungsebenen gehörigen Respekt vor Ornella Barra und arbeitet nur noch nach strikten Vorgaben und Anweisungen. Solange es kein Go aus Amerika gibt, steckt man den Kopf in den Sand und stellt sich taub.“
Sowohl der Gesamtbetriebsrat als auch die Betriebsräte in den Niederlassungen seien mittlerweile komplett auf Konfrontation eingestellt, so seine Einschätzung. In der Belegschaft wachse die Wut – und die Sorge vor Personalkürzungen: „Vor dem Hintergrund der zu erwartenden immensen Personalkürzungen und Umstrukturierungen – auch wenn kolportiert wird, das die meisten Kündigungen bei der Gehe stattfinden werden – wird für die Belegschaft der AHD ein harter Winter anbrechen, in dem der Rückhalt und die Unterstützung des Betriebsrats wohl keine Wirkung mehr hat.“
Gegenüber der Belegschaft werde der Eindruck erweckt, dass das seit vielen Monaten existierende Zerwürfnis zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat nur auf die Uneinsichtigkeit der Arbeitnehmervertreter zurückzuführen sei, behauptet der Mitarbeiter weiter. Und mehr noch: Wichtige Entscheidungen würden derzeit ohne Einbeziehung des Betriebsrats getroffen, so seine Vermutung. Schon vor einigen Jahren hatte AHD erheblichen Ärger mit den eigenen Arbeitnehmervertretern.
In der offiziellen Verkündung ist von solchen Sorgen nichts zu lesen: „Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit McKesson in diesem Joint Venture”, wird Ornella Barra, Co Chief Operating Officer von Walgreens Boots Alliance (WBA), zitiert. „Es ist ein bedeutender Schritt und eine einmalige Chance für unseren Großhandelsbereich, innovative Dienstleistungen für Apotheken und Hersteller in Deutschland weiterzuentwickeln.”
„Der Abschluss dieser strategischen Partnerschaft mit Walgreens Boots Alliance ermöglicht uns, unser Pharmagroßhandelsgeschäft im deutschen Markt zu stärken und für die Zukunft zu sichern”, so Kevin Kettler, Chairman of the Management Board und President von McKesson International. „Wir freuen uns darauf, gemeinsam ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen, von dem der deutsche Gesundheitsmarkt – Apotheken, Hersteller und Patienten – profitiert.” In Anbetracht der künftigen Herausforderungen im Gesundheitswesen wolle das neue Unternehmen „die heilberufliche Stellung des Apothekers stärken, innovative Services entwickeln, Digitalisierung vorantreiben und Mehrwerte für Patienten schaffen“.
Kurz vor Weihnachten hatten die US-Großhandels- und Kettenkonzerne die Fusion ihrer deutschen Aktivitäten bekannt gegeben. Wenige Tage zuvor waren am 11. Dezember die entsprechenden Verträge unterschrieben worden, nach denen Gehe in AHD eingebracht werden und McKesson im Gegenzug 30 Prozent der Anteile erhalten soll.