Der Staat kann und will sich nicht um alles selber kümmern – auch nicht um die Verstöße von Apotheken. Deshalb hat der Gesetzgeber das Wettbewerbsrecht so eingerichtet, dass sich der Markt selbst reguliert. Das Mittel zu dieser Selbstreinigung ist die Abmahnung, zu der auch Apotheker untereinander gelegentlich greifen. Doch es gibt auch Fälle, in denen das System gezielt missbraucht wird. Der Testkauf wird zum Druckmittel.
Ein besonders heißes Pflaster ist die Stadt Herne im Ruhrgebiet. Hier haben sich die Apotheken scharf im Blick. Immer wieder mahnen sich die Kollegen gegenseitig ab – wegen Bonustalern, falschen Rezeptsammelstellen oder sogar dem angeblich zu geringen Diskretionsabstand an den Arbeitsplätzen im Handverkauf. Die Landgerichte im Ruhrgebiet sehen regelmäßig Apotheker.
Von außen betrachtet ist nicht hinter jeder Abmahnung das Bemühen zu sehen, faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Manche geforderte Unterlassungserklärung riecht er nach Vergeltung und Rache. Wie du mir, so ich dir – und ein neuer Abmahngrund findet sich immer. Das freut vor allem die Anwälte.
Doch die Abmahnung kann auch strategisch eingesetzt werden. Damit haben sich in der Vergangenheit niederländische Versandapotheken hervorgetan. Wegen Verstößen gegen das Preisrecht mussten sie sich selbst immer wieder vor Gericht verantworten. Kläger waren in vielen Fällen Apotheker, die die Verstöße bemerkten und einen Anwalt darauf ansetzten. Doch nicht immer kommt es zum Prozess. „Es ist die natürliche Abwehrreaktion niederländischer Versandapotheken, den Anderen mit Gegenabmahnungen unter Druck zu setzen“, berichtet ein Anwalt, der regelmäßig Apotheker in diesen Verfahren vertritt.
Und das geht so: Erhält die Versandapotheke eine Abmahnung, schickt sie als Erstes einen Testkäufer in die Offizin des Angreifers. Genauer gesagt, meist eine junge Testkäuferin. Die erzählt eine herzzerreißende Geschichte, um ausnahmsweise die Pille ohne Rezept zu erhalten. Lässt sich das Personal in der Apotheke erweichen und gibt entgegen der Vorschrift auch nur einen Blister heraus, schnappt die Falle zu.
Der Anwalt des Apothekers erhält dann eine Antwort von den Anwälten der ausländischen Apotheke mit folgendem Tenor: Man habe zur eigenen Überraschung feststellen müssen, dass die Mandantin der Gegenseite es mit den apothekenrechtlichen Vorgaben offenbar selbst nicht so genau nehme und daher womöglich an ihrer eigenen Abmahnung auch nicht mehr festhalten wolle.
„Dieses Vorgehen ist Usus bei beiden niederländischen Versandapotheken“, berichtet der Anwalt. Sofern man sich dann tatsächlich auf einen Vergleich geeinigt hat, darf im Nachhinein über Einzelfälle nicht mehr öffentlich gesprochen werden. Aber nachweislich haben sowohl DocMorris als auch die Europa Apotheek schon zu diesem Mittel gegriffen.
Auch wenn das Testkauf-Schema nach Erpressung klingt, wettbewerbsrechtlich ist die Gegenabmahnung zulässig und durchaus gängig – auch im stationären Handel und branchenübergreifend. Der Testkäufer darf sich dabei nur nicht anders verhalten als ein normaler Kunde. Wird ein Verstoß mit zu viel Nachdruck provoziert, ist dies wiederum unzulässig.
Die Schwelle, ab der eine Abmahnung als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen wird, ist in der Rechtsprechung jedoch relativ hoch. Die Selbstreinigung des Marktes soll schließlich nicht behindert werden. In der Praxis wird eine Reihe von Kriterien überprüft und nur in sehr klaren Fällen von den Gerichten eingeschritten.
Überschritten war die Grenze des Zulässigen aus Sicht des Oberlandesgerichts München (OLG) etwa, als die Europa Apotheek in Bayern eine groß angelegte Abmahnaktion gestartete hatte. Seinerzeit wurden gezielt Apotheken von Funktionären von Apothekerkammer und -verband mit Testkäufen überzogen. Die Versandapotheke wollte die Ergebnisse für Vergleichsverhandlungen in einem anderen Verfahren nutzen. Der Bayerische Apothekerverband hatte einen Titel gegen die EAV erwirkt und sogar erfolgreich Ordnungsgelder gegen die Versandapotheke beantragt.
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