Gegen Hamsterkäufe: Höchstmengen und Rezeptpflicht Alexandra Negt, 21.03.2020 12:59 Uhr
Der Kundenandrang ist in den meisten Apotheken in den letzten Tagen stark gestiegen. Viele Kunden suchen Rat in der Offizin, andere möchten sich in größeren Mengen mit ihrer Dauermedikation bevorraten – und dann bleiben da noch die Menschen, die akut krank sind. Manche Artikel werden so stark nachgefragt, dass sie nicht mehr zu beschaffen sind oder reguliert abgegeben werden müssen, um Hamsterkäufe zu verhindern – darunter Fieberthermometer, Schmerzmittel und Desinfektionsmittel.
Eigentlich sollten Arzneimittel immer in kleinen Mengen abgegeben werden. Für die meisten Arzneimittel gibt es eine maximale Einnahmedauer. Bei Wirkstoffen wie Paracetamol ist die maximale Abgabemenge aufgrund von schweren Nebenwirkungen begrenzt. In der aktuellen Situation steigt die Nachfrage nach Präparaten aus der Hausapotheke, insbesondere Schmerzmittel werden in größeren Mengen vom Kunden gefordert. Es sei mit keinen Lieferengpässen durch Covid-19 zu rechnen, so die ABDA, doch die der Apothekenalltag zeigt eine andere Situation.
Kein Ibuprofen bei Covid-19
Die Sprachnachricht, in der eine Mutter über die Nachteile einer Ibuprofen-Einnahme bei bestehender Sars-CoV-2 Infektion und Verdacht auf eine Infektion berichtete, führte bundesweit zu großer Verunsicherung. Als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer Mitteilung ebenfalls von der Einnahme abriet, waren viele Bürger, insbesondere Eltern, verunsichert. Die Folge: Paracetamol wurde immer häufiger nachgefragt.
Apotheker Gunnar Müller verzeichnet bei Schmerzmitteln seit längerer Zeit einen Anstieg der Abverkäufe: „Insbesondere Säfte sind häufig nur eingeschränkt lieferfähig. Ibuprofen und auch Paracetamol sind aktuell kaum zu beziehen.“ In seiner Detmolder Sonnenapotheke ärgerte man sich über die Aussage der WHO so sehr, dass der Apotheker die Regierung um eine schleunige Klarstellung gebeten hat. Er fordert: „Ich schlage vor, bis zur Klärung des Sachverhaltes Paracetamol in sämtlichen Handelsformen nur noch auf ärztliche Verschreibungen hin in den Apotheken vor Ort und auch im Rahmen des Versandhandels abgeben zu lassen.“
Mehr als nur Rabattverträge aussetzen
Müller fordert noch mehr von der Regierung, mit dem Ziel den reibungslosen Ablauf in den Apotheken zu gewährleisten. Ergänzend zum Vorschlag der Freien Apothekerschaft fordert er beispielsweise, dass auch Vertretungsärzte übliche Mengen anstatt ausschließlich Packungen der Größe N1 verschreiben dürfen. Das gleiche fordert er für ärztliche Notfalldienstpraxen. Auch Krankenhäuser sollen auf den Entlassrezepten vorerst alle Packungsgrößen verschreiben dürfen.
Apotheken regulieren selbst
Viele Apotheken haben sich dazu entschieden, gewisse Artikel nur noch in begrenzten Mengen abzugeben. Bei Desinfektionsmitteln geben viele Apotheken bereits seit Wochen nur noch begrenzte Stückzahlen pro Kunden ab. Da die Nachfrage bei Fieberthermometern ebenfalls stark gestiegen ist, scheinen einzelne Apotheken die Abgabe auch hier zu limitieren. In den sozialen Medien tauschen sich Apotheker und PTA darüber aus, ob es vernünftig wäre, noch weitere Präparate bei der Abgabe zu begrenzen. So geben viele Apotheken nur noch ein bis zwei Packungen Schmerzmittel pro Patienten ab. Bei Paracetamol lautet die Empfehlung, aufgrund von Intoxikationen sowieso nicht mehr als eine Packung pro Patienten abzugeben. In anderen europäischen Ländern wurde die Abgabe von Schmerzmitteln bereits begrenzt.
Internethandel einschränken
Bei den Versandapotheken wurde die maximale Bestellmenge nicht überall an die aktuelle Corona-Krise angepasst – Kunden können oftmals mehrere Packungen eines Schmerzmittels in den Warenkorb legen. So entstehen Bestellungen von Ibuprofen, Paracetamol und ASS in größeren Mengen. Apotheker Dr. Stefan Spaniel sieht den Online-Handel in Zeiten der Pandemie kritisch: „Ich bitte inständig, jetzt einmal darüber nachzudenken, ob es wirklich so sinnvoll ist das deutsche Apothekennetz durch den Internethandel zu gefährden, denn schon jetzt zeigen sich Lieferengpässe bei Desinfektionsmitteln und Arzneimitteln begleitet von Wucherpreisen, die wir dem Internet entnehmen können“, so heißt es in Spaniels Brief an das Bundesgesundheitsministerium.
Erste Entlastungen – Steuerfreier Alkohol
Der Arbeitsdruck in den Apotheken ist hoch. Neben täglichen Lieferengpässen kommen zahlreiche weitere Probleme hinzu. Nachdem die Herstellung von Desinfektionsmitteln in der Rezeptur erlaubt wurde, droht der nächste Lieferengpass – schon jetzt seien quasi alle Ausgangssubstanzen nicht mehr lieferbar. „Die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln hat sich seit dem Ausbruch des Coronavirus massiv erhöht“, stellt das Bundesfinanzministerium (BMF) richtig fest. Um die Versorgung der Bevölkerung, Krankenhäuser und Arztpraxen mit Desinfektionsmitteln zügig sicherzustellen, hat das Haus von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) beschlossen, dass Apotheken ab sofort unvergällten Alkohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln steuerfrei verwenden können.
Schweiz
In der Schweiz hat die Regierung schon Konsequenzen gezogen: Nach Tagen mit enormen Abverkaufszahlen darf jetzt bei einigen Produkten nur noch eine Packung pro Einkauf abgegeben werden. Am Montag rief die Schweizer Regierung den Notstand aus und kann solche Maßnahmen somit per Notrecht durchsetzen. Betroffen sind auch OTC-Schmerzmittel: Bei Acetylsalicylsäure, Paracetamol, Ibuprofen, Diclofenac und Präparaten mit Codein dürfen die Apotheken nur noch eine Packung pro Kunden abgeben.
Frankreich
Auch Frankreich schränkt wegen des Coronavirus den Verkauf der ersten Produkte ein. Um die Verfügbarkeit von Paracetamol zu garantieren, dürfen Apotheker seit Mittwoch nur noch eine Packung Paracetamol pro Patient ohne Symptome und zwei Packungen pro Patient mit Symptomen abgeben. Der Internet-Verkauf von Paracetamol, Ibuprofen und ASS wurde ausgesetzt.
Auch bei Desinfektionsmitteln hat der Saat durch Regulierungen eingegriffen: Seit einer Woche besteht ein Regierungsdekret, mit dem Preise für Desinfektionsgel gedeckelt werden. Demnach dürfen die Mittel maximal drei Euro pro 100 Milliliter kosten, auf einen Liter sind es maximal 15 Euro. Das Dekret gilt noch bis zum 31. Mai. Als Begründung für den Schritt nannte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire „einzelne Fälle“ von Wucherpreisen.