Drei neue verdächtige Impfpässe hat Apothekerin Beate Michael* auf ihrem Schreibtisch liegen – in weniger als 24 Stunden. „Die Situation ist extrem“, sagt die Filialleiterin einer Berliner Apotheke. Sie möchte lieber nicht erkannt werden – auch zum Schutz ihres Teams. Denn man wisse nie, ob die „Ertappten“ aggressiv reagierten und wiederkämen. Ihr „großes Gerechtigkeitsbedürfnis“ sei der Grund, weshalb sie jeden Fälschungsfall der Polizei melde.
Seit etwa vier Wochen nehme die Zahl der in der Apotheke gezeigten Impfpassfälschungen deutlich zu, sagt Michael. „17 habe ich bis jetzt richtig einkassiert.“ Zehn lägen derzeit in Kopie bei der Polizei. Im Schnitt entdecken sie oder ihre Kolleg:innen täglich mindestens ein gefälschtes Dokument. „Jeder fünfte bis zehnte Impfpass ist ein Fälschung. Das ist richtig viel.“ Dazu komme eine hohe Dunkelziffer: „Ich weiß nicht, wie viele mir im Betrieb durchgegangen sind.“
Im Berliner Landeskriminalamt (LKA) wurden Anfang November 169 Anzeigen gefälschter Impfhefte bearbeitet. Dabei geht es um den Verdacht der Urkundenfälschung. Für Michael kann die Zahl nicht die Realität abbilden. „Wenn ich mir die Anzahl der Apotheken in Berlin – circa 750 – anschaue, dann kann ich nicht glauben, dass das in irgendeiner Form repräsentativ sein kann.“ Ein Impfpass mit Stempel und Unterschrift sei bereits für 150 Euro zu haben – überwiegend in Chatgruppen von Messengerdiensten. Auch Ärzte meldeten sich bei der Polizei, wenn sie erfahren hätten, dass ihr Name oder ihr Stempel zur Manipulation missbraucht werde.
Die Polizei alarmiert Michael erst, wenn sie sich sicher ist. Zwischenzeitlich vertröstet sie die Kund:innen, die mit dem gelben Heft in die Apotheke kommen, um einen QR-Code zu erhalten. Ist dieser erst einmal ausgestellt, gibt es kein Zurück mehr. Dauerhaft gespeichert werden die Daten laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) nur dezentral auf den Smartphones der Nutzer. „Alle digitalen Impfnachweise werden nur temporär im Impfprotokollierungssystem erstellt und anschließend gelöscht.“ Das hat auch Michael schon erfahren. „Ich habe im Nachhinein eine Fälschung erkannt und mich an das Robert Koch-Institut gewendet“, sagt sie. Bisher habe sie keine Antwort erhalten.
Der Pharmazeutin ist es wichtig, ihren Beitrag im Erkennen von Impfpass-Fälschungen zu leisten. „Man muss sich einmal vorstellen, was es bedeutet, wenn die Menschen mit den gefälschten Impfpässen ein digitales Zertifikat erhalten. Sie dürfen dann überall hin, besuchen beispielsweise die Kita, wo kleine Kinder oder ungeimpfte Schwangere sind. Da hört es irgendwann auf.“ Sie habe die „steigenden Fallzahlen und die Querdenker satt, die denken, sie hätten Anspruch darauf, alle zu gefährden“.
Wenn sie oder ihr Team Fälschungen vermuten, vertrösten sie die Kund:innen, um keine Diskussion zu entfachen. Im Backoffice werde der Impfeintrag und das Ausweisdokument kopiert und nur der Ausweis zurückgegeben. „Ich frage dann zum Beispiel, ob es sein kann, dass das Zertifikat bereits in einer anderen Apotheke ausgestellt wurde, weil ich die Daten nicht finden kann. Sie wissen ja nicht, wie das System funktioniert.“ Dann habe sie genug Zeit für die Prüfung.
Die Kontrolle der Einträge koste sie in der Regel nur wenige Minuten. „Wenn man weiß, wonach man suchen muss, kostet es keine Zeit.“ Manche Fälschungen seien offensichtlich, etwa wenn die Straße des Stempels falsch geschrieben oder der komplette Impfpass mit dem gleichen Stift ausgefüllt sei. Bei Zweifeln rufe sie im Impfzentrum oder der Praxis an. Handelt es sich um eine Fälschung, werde der Kund:in beim nächsten Besuch gesagt, dass sie den Impfpass wegen eines Fälschungsverdacht nicht herausgeben könne und der Apotheke in diesem Fall die Hände gebunden seien. Zudem verweist sie an die Polizei.
In den vergangenen Wochen kamen zahlreiche Ermittlerteams in die Apotheke. „Ich habe vor, die Polizei zu schulen“, sagt Michael. Jedes Mal kämen neue „Trupps“ und das Interesse sei groß. Den Beamten überreiche sie die Original-Impfpässe, wenn sie sie einbehalten habe, sowie eine Kopie des Ausweisdokuments. Für sich selbst notiert sie auch, wann der Fall aufgetreten und warum er aufgeflogen ist. „Irgendwann werde ich ja sicher vorgeladen.“ Zudem setzt sie sich für eine Fortbildung bei der Apothekerkammer ein.
Wenn Kund:innen gesagt bekämen, dass es sich möglicherweise um eine Fälschung handele, seien die Reaktionen unterschiedlich – manche kämen mit Verstärkung wieder, auch Schreierei habe es bereits gegeben. Die Angestellten der Apotheke seien nicht verpflichtet, die Pässe einzubehalten. „Wenn sich einer nicht traut, dann geben wir aber keinen QR-Code raus.“
APOTHEKE ADHOC Debatte