Gardasil: Außendienst empfiehlt Versandapotheken Nadine Tröbitscher, 19.11.2019 15:29 Uhr
Gardasil 9 (MSD Sharp & Dohme) ist Mangelware. Die Lieferprobleme der HPV-Vakzine erhitzen seit langem die Gemüter. Jetzt schießt der eigene Außendienst dem Konzern ein Eigentor und hebt den Ärger auf eine neue Ebene. Denn der Kundendienst empfiehlt den Praxen, die Verordnungen doch an eine Versandapotheke zu schicken.
Als eine Apothekenangestellte Gardasil 9 Spritzen in der vergangenen Woche an eine Frauenarztpraxis lieferte, konnte und wollte sie ihren Ohren kaum trauen. Denn die Praxismitarbeiter berichteten über die Empfehlung des MSD-Außendienstes: Das Team solle doch die Rezepte direkt zu den Versendern schicken. „Die haben immer Ware“, erinnert sich die Apothekerin. Und ohnehin würden das andere Arztpraxen auch so machen.
Eine Frechheit, findet die Apothekerin. Und das hat mehrere Gründe. Zum einen, weil die Apotheke vor Ort aktuell über den Großhandel keine Ware bekomme und bei MSD auch nur „betteln“ dürfe. Eine Packung pro Monat könne sie vorbestellen und das auch nur am Monatsersten. „Am 15. kann ich keine Bestellung aufgeben, weil mein Kontingent erschöpft ist. Also muss ich jeden 1. eine neue Bestellung aufgeben.“ Ein erheblicher Mehraufwand für die Apotheke, ganz zu schweigen vom weiteren logistischen Aufwand. Aktuell ist der Webshop geschlossen; der Großhandel hat wiederum ein eigenes Reservierungssystem mit Vorbestellfunktion. Dennoch reicht die Menge an Gardasil 9 vorne und hinten nicht.
So ganz stimmen kann die Aussage des Außendienstes allerdings nicht. Denn aktuell müssen auch die Versender passen. Am Freitag konnte die Shop-Apotheke noch Gardasil 9 zu ein und zehn Stück liefern. Doch heute ist auch da nichts mehr zu holen. Bei DocMorris, Mycare und Sanicare sind und waren noch einzelne Spritzen als Reimport verfügbar. MSD räumt ein, allen Marktteilnehmern Ware anteilsmäßig zur Verfügung zu stellen.
Nicht nur die Liefersituation, sondern auch die Arzneimittelsicherheit stoßen der Apothekerin sauer auf. Denn bei Gardasil 9 handelt es sich um Kühlware. „Und das, wo wir wissen, dass es mit der Kühllieferung eben nicht immer so funktioniert.“
Der Konzern muss sich zudem einen anderen Vorwurf gefallen lassen. „MSD kann offensichtlich auf die stationäre Apotheke vor Ort verzichten.“ Dazu antwortet der Konzern: „Wir hoffen und gehen davon aus, dass es sich um einen Einzelfall handelt. Wir bereiten zurzeit eine Kommunikation an unseren Außendienst vor, in der wir die Kolleginnen und Kollegen für den Sachverhalt sensibilisieren, nicht in dieser Weise in den Markt einzugreifen. Selbstverständlich ist die ‚Apotheke vor Ort‘ für uns ein sehr wichtiger Partner in der Versorgung mit Arzneimitteln und der Kommunikation an die Patienten.“
Eine Frage bleibt offen. Wie soll das Problem gelöst werden? Wann kann MSD den Bedarf decken und soviel Impfstoff produzieren, wie benötigt wird? „Der Grund für die angespannte Situation bei Gardasil 9 ist eine weltweit unerwartet stark gestiegene Nachfrage. Länder auf der ganzen Welt haben neue oder erweiterte Impfprogramme gegen HPV-Infektionen auf den Weg gebracht. Nach fünf Jahren stabiler Nachfrage hatte sich der globale Bedarf an HPV-Impfstoffen im Jahr 2018 gegenüber 2017 verdoppelt.“ Gleichzeitig sei die Produktion von Impfstoffen sehr komplex und kann bis zu 36 Monate dauern. „Zudem unterliegt sie strengen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen. Dies erfordert eine langfristige Produktionsplanung im Voraus, die eine kurzfristige Anpassung an eine veränderte Nachfrage nur eingeschränkt möglich macht.“ Um mittel- bis langfristig flexibler reagieren zu können, plant MSD in den kommenden fünf Jahren Investitionsprojekte in Höhe von 14 Milliarden Euro. Dazu gehören unter anderem auch der Aus- und Umbau von Produktionsstätten für unsere Impfstoffe. „Wir bedauern alle Unannehmlichkeiten, die Apothekern, Ärzten und Patienten aufgrund der Liefersituation entstehen.“