Auf dem Dorf kennt jeder jeden – und jeder kennt den Apotheker, so es denn noch einen gibt. Bekanntermaßen ist man deshalb besonders anfällig für Halbgares aus der Gerüchteküche. Apothekerin Ute Müller-Karstädt aus dem sächsischen Krauschwitz muss das derzeit am eigenen Leib erfahren: Wegen eines fehlerhaften Zeitungsartikels kursiert plötzlich das Gerücht, sie habe Rezepte manipuliert – dabei hat sie mit dem Fall überhaupt nichts zu tun. Und ist ein Gerücht erst einmal im Umlauf, ist es nur schwer wieder aus der Welt zu bekommen.
Es ging weder um sie noch um eine Apothekerin noch um Krauschwitz – trotzdem wurde Ute Müller-Karstädt in die Geschichte hineingezogen. Denn vergangene Woche stand im benachbarten Weißwasser eine 43-jährige PTA vor Gericht, weil sie jahrelang Privatrezepte manipuliert und ihrer Arbeitgeberin damit mehrere tausend Euro Schaden verursacht hatte. Das Problem: Die lokale Sächsische Zeitung hatte einen freien Journalisten zum Prozess geschickt, der die Fakten etwas durcheinanderbrachte. So wurde aus einer PTA, die in Krauschwitz wohnt und in Weißwasser in einer Apotheke arbeitet, eine „Krauschwitzer Apothekerin“ – und zwar direkt in der Überschrift.
„Krauschwitzer Apothekerin manipulierte Rezepte“, war deshalb am 25. Oktober in der Sächsischen Zeitung zu lesen. Zumindest für viele unbedarfte Leser blieb damit kein Zweifel. „Es gibt zwar insgesamt fünf Apothekerinnen, die in Krauschwitz leben – aber ich betreibe die einzige Apotheke“, erklärt Müller-Karstädt. Und das auch nicht erst seit gestern: Seit 22 Jahren ist sie Inhaberin der Heide-Apotheke in der 3000-Einwohner-Gemeinde nahe der polnischen Grenze.
Dass plötzlich falsche Informationen über sie im Umlauf sind, bekam sie zu allem Überfluss noch nicht einmal persönlich mit. „Eine meiner Mitarbeiterinnen war im Netto einkaufen und wurde darauf angesprochen, was denn bei uns los sei“, erzählt die 51-Jährige. „Ich habe mir dann direkt die Zeitung besorgt und dachte erst, die haben den Ort verwechselt.“ Denn in Sachsen-Anhalt gibt es einen weiteren Ort, der Krauschwitz heißt. Doch Fehlanzeige: Aus dem Artikel geht eindeutig hervor, dass es sich um das Krauschwitz bei Weißwasser handelt. „Ich habe gedacht, ich falle vom Glauben ab“, erinnert sie sich an den Moment.
Ab da begannen die Kunden zu fragen. „Alle dachten, dass ich das bin“, erzählt sie. In solchen Situationen braucht man einen langen Atem: Immer wieder muss man von vorn erzählen, dass es sich um einen Fehler der Zeitung handelt, dass man nichts mit dem Fall zu tun hat und so weiter. Doch glaubt das tatsächlich jeder Kunde? Und jeder weiß um die Dynamik von Gerüchten auf dem Dorf, da wird schnell aus manipulierten Rezepten viel Schlimmeres. Es ist eine unhaltbare Situation, auch für ihre Mitarbeiter, die mittlerweile auch von Kollegen aus anderen Betrieben auf die vermeintlichen Ereignisse angesprochen wurden. „Die sind ja alle miteinander vernetzt“, sagt Müller Karstädt.
Mittlerweile ging es also um ihren Ruf und sie musste handeln. Ein Anruf bei der Sächsischen Zeitung war erst einmal wenig erfolgversprechend: Man sei sich bereits bewusst, dass der Artikel einige Fehler enthalte und habe deshalb für den nächsten Tag eine kurze Richtigstellung geplant. Die erschien tatsächlich am rechten unteren Seitenrand auf zwölf Zeilen. „Mit der aktuellen Apotheke in Krauschwitz haben die Vorfälle nichts zu tun“, heißt es da unter anderem. „Wir bitten, die Ungenauigkeit zu entschuldigen.“
Doch Müller-Karstädt wusste schon vorher, dass ihr das nicht reicht. Sie ließ nicht locker und erreichte den Chefredakteur. „Ich wollte eine lange Stellungnahme und eine Überschrift, die genauso groß ist wie die des eigentlichen Artikels“, erzählt sie. Nach einigen Verhandlungen erhielt sie zwar nicht die gewünschte Überschrift, konnte aber immerhin eine Gegendarstellung herausschlagen – die die Zeitung aber ziemlich weit hinten, auf Seite 17, abdruckte.
„Mit Entsetzen“ habe sie den Artikel gesehen, schreibt Müller-Karstädt in ihrer Gegendarstellung. „Schon die Überschrift des Beitrages betrachte ich als Rufschädigung und als geschäftsschädigend für meine Apotheke“, erklärt sie. Allein am Erscheinungstag des Artikels habe sie mehrere Anfragen von verunsicherten Kunden erhalten. „Niemand der Fragenden (und wahrscheinlich auch viele weitere Leser des Artikels) hat sich die Mühe gemacht, den gesamten Text zu lesen. Es reicht eine (falsche) Überschrift und die Schuldige steht fest“, kritisiert sie im gleichen Atemzug auch die Einstellung ihrer Mitbürger. „Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass ich mir in den letzten 22 Jahren, in denen ich die Heide-Apotheke in Krauschwitz betreibe, nie etwas habe zu Schulden kommen lassen.“
Vor allem mit ihrer Kritik am Leserverhalten sollte sie jedoch zu ihrem Unmut Recht behalten. Spricht sich das Gerücht einmal herum, bringt oft auch eine Richtigstellung nicht mehr viel. „Die Leute verstehen das nicht, die denken, es ist trotzdem was dran“, sagt sie. Teilweise treibt das nahezu absurde Blüten. „Meine Schwiegermutter hat ihren Nachbarn die Richtigstellung gezeigt. Die sind aber immer noch der Meinung, dass es sich um meine Apotheke handelt.“ Auch für ihre Angestellten sei die Situation schlecht, „denn auf irgendjemanden fällt der Verdacht schließlich“.
Also bleibt ihr nur Aufklärung. Ihr eigenes berufliches und privates Umfeld hat sie bereits aufgeklärt. Bei den Kunden gestaltet es sich noch etwas schwieriger. Sie habe erwogen, einen Aushang in der Apotheke anzubringen, die Idee aber wieder verworfen. Manche Bekannte würden ihr auch raten, die Zeitung zu verklagen, aber das halte sie für wenig zielführend. Wenigstens eines würde sie sich aber wünschen: „Ich warte immer noch auf eine Entschuldigung von dem Journalisten, der das geschrieben hat.“
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