Ärzte verweigern „Pille danach“ Julia Pradel, 20.08.2015 10:13 Uhr
Die Entlassung der „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht
sollte es Frauen nach einer Verhütungspanne einfacher machen. Doch gerade für
junge Frauen ist es nicht leichter geworden – zumindest wenn sie das Präparat
nicht selber kaufen können oder wollen und ein Kassenrezept brauchen. Immer
wieder gibt es Berichte, in denen Notfallambulanzen oder Ärzte des
Bereitschaftsdienstes sie wegschicken. Können sie sich das Präparat nicht
leisten, müssen sie warten – und verlieren wertvolle Zeit.
Frauen unter 20 Jahren haben einen Anspruch auf die Erstattung von Notfallkontrazeptiva, auch wenn diese nicht verschreibungspflichtig sind. Eine entsprechende Regelung hatte der Bundestag Ende März rückwirkend zum OTC-Switch beschlossen. Voraussetzung für die Erstattung ist ein Kassenrezept.
Das zu bekommen, gestaltet sich mitunter nicht ganz einfach – sondern kann zur Odyssee werden. Mancherorts stellen die Ärzte im Notdienst gar kein Rezept mehr aus – immerhin sei die „Pille danach“ doch inzwischen rezeptfrei. Dass unter 20-Jährige auch nach dem OTC-Switch noch einen Anspruch auf Beratung und eine Verordnung haben, hat sich noch nicht überall herumgesprochen.
Am Klinikum Augsburg bekommen Frauen ein Rezept für das Präparat nur bis Mitternacht – und wieder ab acht Uhr morgens. „Die 'Pille danach' stellt in der Regel keinen medizinischen Notfall im eigentlichen Sinne dar“, erklärt eine Sprecherin die Regelung. „Durch die Änderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung und der Entlassung aus der Rezeptpflicht kann die 'Pille danach' von Notaufnahmen nicht mehr als Leistung angeboten werden.“
Nach Mitternacht würden Patientinnen daher gebeten, sich direkt an die nächste geöffnete Apotheke zu wenden oder am nächsten Morgen bei einem niedergelassenen Frauenarzt vorzustellen, so die Kliniksprecherin. „Dies betrifft auch Frauen unter 20 Jahren“, stellt sie klar. Auch in der Klinik Heidenheim bekommen Frauen ein Rezept für die „Pille danach“ zwischen acht Uhr und Mitternacht. In der Zwischenzeit werden sie weiter in die Gynäkologie geschickt.
Aus den Krankenhäusern berichten Patientinnen die gruseligsten Geschichten, etwa dass sie bis zu 200 Euro für eine private Behandlung zahlen sollten. Eine andere Frau zahlte nach eigenem Bekunden 100 Euro in Raten, weil sie in ihrer Nervosität einen privaten Behandlungsvertrag unterschrieben hat, der ihr als Empfangsbestätigung für das Rezept verkauft wurde.
Doch selbst wenn Patientinnen eine ärztliche Verordnung bekommen, hilft ihnen das nicht unbedingt weiter – denn ein Privatrezept nützt ihnen wenig. Doch den Unterschied muss man kennen. Eine Sprecherin der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) erklärt: „Krankenhäusern steht keine Gesetzesgrundlage zur Verfügung, aufgrund derer sie Arzneimittel zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnen könnten.“
Dies gilt der DKG-Sprecherin zufolge auch für die ambulante Notfallbehandlung. Krankenhäuser könnten Patienten daher allenfalls Arzneimittel applizieren oder Privatrezepte ausstellen. Aber: „Da die 'Pille danach' nicht zum stationärem Standardrepertoire gehört, ist sie in der Notaufnahme nicht vorrätig.“ Die Notfallambulanzen sind für junge Frauen demnach also der falsche Anlaufpunkt.
Beim ärztlichen Bereitschaftsdienst sieht es aber nicht viel besser aus: Auch dort werden Frauen immer wieder weggeschickt oder erhalten nur ein Privatrezept – obwohl sie dort tatsächlich einen Anspruch auf ein Kassenrezept haben. Entscheidend ist auch hier die Frage, ob der jeweilige Arzt die Situation der Frau als eine Notsituation bewertet. Die Zeit ist allerdings ein wichtiger Faktor: Die Bundesapothekerkammer (BAK) empfiehlt in ihrer Leitlinie zur rezeptfreien Abgabe von Notfallkontrazeptiva, die Präparate „so früh wie möglich“ anzuwenden, „am besten innerhalb von zwölf Stunden“.
Wenn Frauen unter 20 Jahren aber nur ein Privatrezept erhalten, müssen sie die „Pille danach“ entweder selbst zahlen oder warten, bis sie am nächsten Tag zum niedergelassenen Gynäkologen gehen können. Im besten Fall finden sie eine Apotheke, die ihnen das Geld aus Kulanz am nächsten Tag gegen ein Kassenrezept zurück gibt.
Beim Beratungsverband Pro Familia hat man seit dem OTC-Switch im März schon von einigen Problemen gehört – nicht nur in Notaufnahmen: Es gebe auch Apotheken, die die Abgabe verweigert und Patientinnen zum Arzt geschickt hätten, obwohl es in ihrem Ermessen gelegen habe, das Präparat abzugeben. Aussagen zur tatsächlichen Häufigkeit solcher Schwierigkeiten kann man aber noch nicht treffen. Mehr Wissen um die tatsächliche Situation soll eine Untersuchung bringen, die Pro Familia derzeit plant.
Vor fünf Jahren hat Pro Familia schon einmal eine Umfrage zur „Pille danach“ unter den einzelnen Beratungsstellen durchgeführt. Mehr als die Hälfte der 120 Stellen berichteten von Problemen. Besonders oft beschwerten sich Patientinnen demnach über „abschätziges Verhalten durch medizinisches Personal“ und die schwierige Versorgung am Wochenende. 35 Prozent der Beratungsstellen gaben an, dass die Verordnung der „Pille danach“ immer oder oft privat abgerechnet werde.
Obwohl Frauen unter 20 Jahren auch schon vor dem OTC-Switch Anspruch auf die „Pille danach“ hatten, wurden bereits 2010 vergleichsweise selten Kassenrezepte ausgestellt. 35 Prozent der Beratungsstellen gaben an, dass die Frauen in Klinikambulanzen oft oder immer nur ein Privatrezept erhielten. Mit Blick auf den ärztlichen Notdienst meinten das 32 Prozent und selbst bei gynäkologische Praxen mehr als 20 Prozent.