Freie Preise für drei Monate. Für 180 derzeit schlecht verfügbare Arzneimittel setzen die Krankenkassen die Festbeträge aus – eine völlig neue Gruppe von Arzneimitteln entsteht. Die Kassen mussten unter politischem Druck eine schnelle Lösung finden, die noch weitere Herausforderungen nach sich ziehen wird.
Mit seinem Eckpunktepapier zur Bewältigung der Lieferengpässen hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kurz vor Weihnachten die Richtung vorgegeben. In einem Schreiben an den GKV-Spitzenverband wurde den Kassen Druck gemacht; die protestierten zwar wild, mussten sich aber letztendlich fügen. Dem Vernehmen nach mussten mehrere Kassenmanager sogar ihren Weihnachtsurlaub abbrechen, um die Lösung zu erarbeiten.
Denn bislang gibt es nur Präparate mit oder ohne Festbetrag. Dass ein Festbetrag ausgesetzt wird, kam in der Vergangenheit nur in absoluten Ausnahmefällen vor – etwa wenn die Krankenkassen im Rechtsstreit mit einem Hersteller waren. Jetzt wird diese neue Kategorie systematisch neu eingeführt. Der GKV-Spitzenverband hatte eigens eine Verwaltungsratssitzung einberufen, um zu klären, ob er diese Befugnis überhaupt hat. Das Gremium gab grünes Licht, Widersprüche sind weder von den Herstellern zu erwarten, noch von den Apothekern.
In den Eckpunkten war von einer Erhöhung der Festbeträge um 50 Prozent die Rede gewesen, doch an diesem Vorschlag gab es erhebliche Zweifel. Immerhin stehen die Vorgaben für Anpassungen im Sozialgesetzbuch (SGB V) und erfordern ein aufwändiges Stellungnahmeverfahren. Mit dem Aussetzen werden die Preise stattdessen nun komplett freigegeben, da auch das seit 2009 geltende Preismoratorium gleich mit aufgehoben wird. Anderenfalls hätte es passieren können, dass die mehr als zehn Jahre Preissperre gewirkt hätte – und der erhoffte Anstieg sich nicht hätte umsetzen lassen. Allein am Generikaabschlag wird aus technischen Gründen festgehalten, was bei der Preisfindung dann aber keine große Rolle mehr spielt.
Der GKV-Spitzenverband hat allerdings schon eine deutliche Warnung in Richtung der Hersteller ausgesprochen: „Die Pharmaindustrie erhält durch die Aussetzung Zeit, die bestehenden Produktions- und Lieferprobleme in den Griff zu bekommen. Die Aussetzung der Festbeträge ist kein Freifahrtschein für Gewinnmaximierung. Wir werden hier genau hinschauen, wie die Aussetzung der Festbeträge wirkt.“
Die Aussetzung der Festbeträge betrifft insgesamt 180 Fertigarzneimittel aus zehn Festbetragsgruppen, darunter unter anderem Ibuprofen-Säfte, Paracetamol-Zäpfchen und Antibiotika-Suspensionen. „Mit der Aussetzung werden angesichts der aktuell angespannten Versorgungslage bei den entsprechenden Kinderarzneimitteln kurzfristig Aufzahlungen, also zusätzliche Kosten, vermieden“, teilt der GKV-Spitzenverband weiter mit.
Fraglich ist, ob sich damit kurzfristig wirklich nennenswert mehr Ware in den deutschen Markt ziehen lässt, zumal die Lieferprobleme auch in europäischen Nachbarländern bestehen.
Sollte jetzt tatsächlich Ware umgeleitet und neue PZN für den deutschen Markt beantragt werden, würde der Abdata eine enorme Verantwortung zufallen. Die Abda-Tochter ordnet auch normalerweise neu gelistete Arzneimittel automatisch einer Festbetragsgruppen zu. Ab Februar müsste hier dann entschieden werden, ob ein Präparat in die Sondergruppe der ausgesetzten Festbeträge fällt oder nicht.
Die Kassen hatten sich eigentlich sogar eine Umsetzung zum 15. Januar gewünscht, aber das war aufgrund abgelaufener Meldefristen nicht mehr möglich. Immerhin sollen nun pünktlich zum 1. Februar die dann korrekten Preise gelistet sein. „Die datentechnische Umsetzung in den Apotheken konnte in Kooperation mit den entsprechenden Datenstellen abgestimmt werden, so dass trotz der kurz bemessenen Zeitspanne eine reibungslose Umsetzung möglich ist“, so der GKV-Spitzenverband.
Aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) heißt es, die Regelung beruhe auf einer Absprache zwischen Minister Lauterbach und den Krankenkassen vor Weihnachten, die Festbeträge für Kinderarzneimittel auszusetzen. „Damit wird die Zeit überbrückt, bis das angekündigte Arzneimittelgesetz greift, das weit über das Aussetzen von Festbeträgen hinaus greift. Erst damit können die strukturellen Ursachen für Lieferengpässe wirkungsvoll bekämpft werden. Geplant ist, den Referentenentwurf Ende des Monats vorzulegen.“ Der allerdings müssten dann schon nach drei Monaten in Kraft treten – sonst droht schon wieder eine Lücke.
APOTHEKE ADHOC Debatte