Etwa 70 Apotheken in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz waren von der Flutkatastrophe im Juli betroffen. Manche sind wieder in Betrieb, bei anderen wird noch mit provisorischen Lösungen wie Containern gearbeitet – und andere sind so zerstört, dass an eine Wiedereröffnung nicht zu denken ist. Das gilt vor allem, wenn die Apotheke schlecht versichert war. APOTHEKE ADHOC hat mit Apothekerinnen und Apothekern gesprochen, die zu spät merkten, dass sie schlecht beraten waren.
„Leider wurden auch bei uns die Verträge jahrelang nicht angeschaut“, heißt es aus einer betroffenen Apotheke in Nordrhein-Westfalen. Die Inhaberin möchte lieber anonym bleiben, sie will keinen unnötigen Ärger mit ihrer Versicherung. Denn noch hat man sich nicht auf die Regulierung des Schadens verständigt. Zwar übernimmt die R+V die Betriebsunterbrechung, doch bei der Regulierung der Inhaltsschäden bereiten die veralteten Verträge Probleme. Die hatte noch die vorherige Besitzerin vor rund 30 Jahren geschlossen.
Immerhin ist darin das sogenannte Sachverständigenverfahren vorgesehen, sodass jetzt beide Seiten einen Experten heranziehen können. Was die Apothekerin gelernt hat: Die Sachverständigen hätten auch schon im Vorfeld für etwaige Schadensfälle benannt werden können. Aktuell sind sie schwer zu bekommen, das gleiche gilt für Anwälte, die Versicherungspolicen richtig lesen können. Die Apotheke hat einen Totalschaden erlitten, das Team ist aktuell auf die anderen Standorte im Filialverbund aufgeteilt. Insofern wäre es für die Inhaberin – wie für alle betroffenen Kolleg:innen – wichtig, dass die Gutachter schnell den Sachstand erheben und die Versicherung eine erste Zahlung leistet.
Zu den besonders hart betroffenen Apothekern zählt Daniel Reuschel: Bei ihm wurden gleich beide Apotheken geflutet – und in beiden Fällen kann er kaum auf Entschädigungen hoffen. Für die Apotheke in Bad-Neuenahr konnte er keine Elementarversicherung abschließen, die Verträge mit der Generali sehen nicht einmal eine Betriebsunterbrechung vor und auch keinen Rechtsschutz. Damit hat der Inhaber schlechte Aussichten, Geld von der Versicherung zu bekommen oder sie zu verklagen. Besonders bitter: Die Versicherungswerte waren korrekt berechnet – was aber nichts nützt, wenn die Ursache nicht versichert ist.
Bei seiner Bonner Apotheke sind dagegen Elementardeckung und Betriebsunterbrechung mitversichert. Dafür wurden in diesem Vertrag zu geringe Inhaltswerte versichert. Aufgrund der bestehenden Unterversicherung wird wohl nur einen Bruchteil des Schadens übernommen. Immerhin zahlt die Versicherung hier die Betriebsunterbrechungskosten.
Laut dem Versicherungsexperten Michael Jeinsen ist das kein Einzelfall. Nach seiner Schätzung sind in rund jedem dritten Filialverbund die Apotheken unterschiedlich versichert. „Deshalb sollten alle Mehrbesitzer – wie dieses Paradebeispiel zeigt – ihren Versicherungsschutz aller Apotheken überprüfen und angleichen lassen.“ Als Makler hat er dabei ein eigenes Interesse, weist aber auf einen grundsätzlichen Unterschied hin, den Apotheker:innen aus seiner Sicht beachten sollten.
Denn Apotheker Reuschel habe leider nicht nur fachlich, sondern auch systemisch dem falschen Vermittler vertraut, so Jeinsen. In der Frage der Haftung gebe es nämlich erhebliche Unterschiede: Sogenannte Ausschließlichkeitsvermittler könnten als Angestellte einer Versicherung eben nur deren Policen anbieten. Das schließe schon einen Vergleich verschiedener Angebote aus.
Die Haftung liege zudem nicht beim Vermittler, sondern bei der Verssicherung. Reuschel hätte es im Zweifel also mit den Hausjuristen der Generali zu tun. „Und die gehen meist über alle Instanzen, um den Kunden auszubluten. Da trifft es sich perfekt, dass Herr Reuschel nicht mal einen Rechtsschutz angeboten bekommen hat“, so Jeinsen.
Daneben gibt es Mehrfachgeneralagenten, die mehrere Versicherungen vertreten. Die haben eine größere Auswahl und haften persönlich für ihren Rat, dafür müssen sie eine eigene Haftpflichtversicherung vorweisen. Das ist laut Jeinsen „schon mal Lichtjahre besser für jeden Kunden, denn er muss nicht gegen den Versicherer antreten und im Schadensfall nur noch einen einfachen Beratungsmangel belegen, um seinen Vermögensschaden von der Versicherung des Mehrfach-Generalagenten ersetzt zu bekommen“.
Die dritte Gruppe sind selbständige Versicherungsmakler wie Jeinsen selbst. „Wir müssen unseren Rat aus dem gesamten Marktangebot ableiten, handeln also bereits dann falsch, wenn es im Markt eine bessere Lösung gibt, die nicht empfohlen wurde.“ Eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung sei ebenfalls Voraussetzung für die Maklertätigkeit.
Im Fall Reuschel wäre es laut Jeinsen für einen unabhängigen Makler unmöglich gewesen, „diese maximale Fehlberatung vor Gericht zu rechtfertigen“. Der Apotheker hätte also trotz der minderwertigen Policen in beiden Schadensfällen trotzdem sein Geld bekommen, ist Jeinsen überzeugt. Jeder Apothekeninhaber sollte seine Verträge auf Herz und Nieren überprüfen. „Sonst spielt er mit seiner Existenz Russisch-Roulette.“
Um Apotheker Reuschel jetzt noch zu helfen, hat Jeinsen sein Netzwerk aktiviert und ihm einen Rechtsanwalt besorgt, der die Klage gegen den Versicherer vertreten soll. Und einen Gutachter hat er auch vermittelt, der seinen Schaden amtlich bestätigen kann. Aufgrund der Vielzahl der Betroffenen in den Flutgebieten sind Gutachter aktuell „absolute Mangelware“, so Jeinsen.
Ein Positivbeispiel ist die Faust-Apotheke in Eschweiler von Joost Ney. Er muss zwar auch vorübergehend in vier Container umziehen, doch zumindest mit der Abwicklung der Versicherung ist er zufrieden. Allerdings weiß auch er noch nicht, wann er wieder in die Apotheke kann. Weil der Gewölbekeller vollgelaufen ist, könnte die Decke der Fußboden in der Apotheke dauerhaft so feucht sein, dass es zu Schimmelbildung kommt – zumal es aktuell keine Heizung in dem Gebäude gibt.
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