Fiebersäfte für Kinder sind weiter Mangelware. Rezepturen können die Lücken mancherorts stopfen, sofern die Apothekenteams mit der Herstellung hinterherkommen und überhaupt an Wirkstoff kommen. Das ist für Apotheker Dr. Christian Fehske nicht das Problem: Er hat frühzeitig eingekauft und würde gern die Rezeptur hochfahren. Doch im Umfeld der Rathaus-Apotheke in Hagen verordnen die Kinderärzt:innen fast nie Rezepturen – aus Angst vor Regressen.
Fehske und sein Team stellen Fiebersäfte und -zäpfchen mit Ibuprofen und Paracetamol in großer Menge her. Weil der Inhaber schon frühzeitig Wirkstoffe direkt aus China importiert hat, wäre eigentlich genug Ware da. Trotzdem verordnen die Kinderarztpraxen im Umfeld die Rezepturen nur in absoluten Ausnahmen. Sie sorgen sich laut Fehske um ihr Budget – haben Angst vor Regressen in einigen Jahren, weil die Rezepturen teurer sind als die industriell hergestellten Produkte. „Aber deren offenbar nicht mehr kostendeckender Preis ist ja einer der Gründe für den Lieferengpass“, so Fehske.
Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) hatte schon im August in einem Infoschreiben gegenüber den Praxen erklärt, „dass die Abgabe von Rezepturarzneimitteln ausschließlich in Einzelfällen möglich sein soll, wenn der Krankheitszustand des Kindes eine Behandlung mit den entsprechenden Wirkstoffen als Saft erfordert“. Allerdings hatten mehrere Kassen in der Folge versichert, dass sie die Mehrkosten übernehmen.
Trotzdem beobachtet Fehske in seiner Apotheke, dass sich eher wohlhabendere Eltern die Fiebersäfte für ihre Kinder privat kaufen. Das könnten sich aber nicht alle leisten. Zwar gibt er die Säfte im Freiverkauf günstiger ab, den Herstellungsaufwand muss er aber trotzdem irgendwie abbilden. Und nicht alle Eltern könnten sich knapp 10 Euro für Zäpfchen oder 16 Euro für einen Saft leisten . „Die klappern – oft mit den fiebernden Kindern im Kinderwagen – weiter alle Apotheken ab, bis mal wieder irgendwo ein paar Flaschen Ibuflam oder Paracetamol-Saft Ratiopharm geliefert werden, und sie die Rezepte vom Kinderarzt ohne eigene Kosten einlösen können“, so Fehske weiter.
Die Praxen könnten bei der Ausstellung der Rezepte wiederum nicht wissen, ob und in welcher Apotheke gerade mal wieder eine kleine Menge der Fiebersäfte geliefert wurde. Trotzdem würden die Fertigarzneimittel noch häufig verordnet, oder die Praxen verwiesen gleich auf die Möglichkeit des freien Kaufs nicht verschreibungspflichtigen Rezepturarzneimittel.
Die Politik beklage immer die steigenden Arzneimittelausgaben, moniert Fehske und rechnet vor, dass der Durchschnittspreis neu eingeführter Arzneimittel in Deutschland inzwischen bei rund 11.000 Euro liege. „Wir könnten wir selbst bei einem Preis von knapp über 30 Euro also entweder knapp 350 fiebernden Kindern mit Rezepturen zur Überbrückung helfen. Oder einem Patienten, der zum Beispiel ein neues orales Zytostatikum benötigt. Meiner Meinung nach sind wir an dem Punkt angekommen, an dem wir eine öffentlichere Diskussion in Deutschland brauchen, was genau wir uns weiter leisten wollen. So lange wir sie nicht führen, müssen schon heute die Schwächsten und Ärmsten mit den Folgen leben.“
Fehske hat demnächst den SPD-Bundestagsabgeordneten aus seinem Wahlkreis zu Besuch in der Apotheke. Den werde er fragen, ob er es für gute sozialdemokratische Politik hält, „dass die kranken Kinder weniger wohlhabender Eltern die Konsequenzen einer verfehlten Gesundheitspolitik ausbaden müssen.“
Diese Ankündigung hat seinen Kollegen Apotheker Christian Brand aus Kaiserslautern auf den Plan gerufen, der von denselben Problemen berichten kann: „Auch hier beklagen wir die gleichen Lieferengpässe, frustrierte, hilflose Eltern mit kranken Kindern, geknebelte Kinderärzte – auch Ärzte anderer Fachrichtungen – und unter dem Strich eine dadurch immer wieder katastrophale, mindestens jedoch vom Geldbeutel abhängige Arzneimittelversorgung, die wir als Apotheker:innen gezwungen sind mitzutragen.“
Brand ist Vizevorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten im Gesundheitswesen“ in Rheinland-Pfalz und ist als Sozialdemokrat von der Grundidee der Arzneimittelpreisverordnung (AmPreisV) überzeugt. Weil gerade nicht der Geldbeutel entscheidend ist für eine gute Arzneimittelversorgung.
Er kritisiert, dass in Apotheken zwar eine Echtzeitabfrage hinsichtlich der Verfügbarkeit möglich sei, die technische Ausstattung der Arztpraxen das aber nicht leiste. „Und doch müssen Apotheken mühsam jedem einzelnen Rezept hinterherlaufen und Arztpraxen darauf hinweisen, was alles nicht lieferbar ist und welche Alternativen verfügbar wären“, kritisiert Brand. Dieses Procedere lähme die Tätigkeit in Apotheken und Arztpraxen gleichermaßen – vor allem aber die Abgabe von Arzneimitteln in teils akuten Fällen.
Und damit nicht genug laufe die Apotheke zusätzlich Gefahr, bei Nichtbeachtung von Formalien auch noch retaxiert zu werden. Brand spricht von „organisierter Zahlungsverweigerung erbrachter Leistungen“ und nennt als Beispiel eine Retax, weil die Praxis „WB“ für „wie bekannt“ auf das Rezept geschrieben habe statt wie gefordert „DJ“ für „Dosierungsanweisung vorhanden: ja“. Diese Form von Erschleichen von Leistungen der Krankenkassen müsse als kriminell bezeichnet werden, mindestens als Zechprellerei.
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