Liefersituation angeblich entspannt

Festbeträge werden wieder scharf gestellt – Preis-Jojo in Apotheken

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Berlin -

Engpässe überwinden, „was immer dafür notwendig ist!“ Mit diesen entschlossenen Worten stellte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kurz vor Weihnachten seine Eckpunkte vor. Am Ende blieben einige wenige Produktgruppen, für die ab Februar die Festbeträge vorübergehend ausgesetzt wurden. Weil das versprochene Gesetz aber später kommt, werden die Preisgrenzen ab Mai wieder scharf gestellt. Hersteller und Apotheken müssen daher zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen die Preise anpassen – weil Lauterbach die Sache aussitzt.

Für sieben Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen hatten die Krankenkassen zum 1. Februar die Festbeträge ausgesetzt, darunter Fiebersäfte und -zäpfchen mit Paracetamol und Ibuprofen sowie Antibiotika-Suspensionen. Die Freigabe galt für zehn Festbetragsgruppen, betroffen waren 181 PZN, wobei die Regelung unmittelbar nur Auswirkungen auf rund 60 Arzneimittel hatte – die anderen Präparate lagen bereits unter Festbetrag oder waren außer Vertrieb.

Allerdings war die Regelung auf drei Monate befristet – danach, so die ursprüngliche Hoffnung, würde die versprochene gesetzliche Regelung nahtlos anknüpfen. Doch danach sieht es nicht aus: Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) liegt zwar im Entwurf bereits vor, soll erst am 29. März durch das Kabinett. Zwei Tage darauf ist zwar Bundesratssitzung, vermutlich wird aber erst der nächste Termin am 12. Mai zu schaffen sein. Damit wäre die 1. Lesung im Bundestag am 24. oder 25. Mai möglich, voraussichtlich am 14. Juni soll dann die Anhörung im Gesundheitsausschuss stattfinden. Damit kommt der nächste Termin im Bundesrat zwei Tage später wieder nicht in Frage. Stattdessen soll am 22. oder 23. Juni im Bundestag die 2./3. Lesung sein, sodass der zweite Durchlauf im Bundesrat dann bei der letzten Sitzung vor der Sommerpause am 7. Juli möglich wäre.

BMG: Lage entspannt sich

Eine Übergangslösung wird es nicht geben, auch weil sich laut Lauterbach die Lage entspannt hat: Mit der Aussetzung der Festbeträge habe man auf die seinerzeit angespannte Versorgungslage reagiert, so eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf Nachfrage. „Ausgelöst durch erhöhte Atemwegsinfektionsraten bei Kindern stieg der Bedarf an diesen Arzneimitteln akut an, so dass die Nachfrage nicht in vollen Umfang kompensiert werden konnte. Die Infektionswelle hat inzwischen nachgelassen. Die Versorgungslage für paracetamol- und ibuprofenhaltige pädiatrische Arzneimittel (Säfte und Zäpfchen) sowie zum Teil für Antibiotika entspannt sich.“

Auch seitens der Kassen sieht man keinen Bedarf, die Übergangsregelung über den 30. April hinaus fortzuführen. „Eine Verlängerung der Befristung ist nicht beabsichtigt. Das bedeutet, die ausgesetzten Festbeträge werden ab Mai wieder wirksam“, so ein Sprecher des GKV-Spitzenverbands. Weitere Fragen mit Blick auf den parlamentarischen Prozess zum ALBVVG müsse man an das BMG richten.

Preissenkung oder Aufzahlung

Dass die Nachfrage im Frühjahr zurückgehen würde, war zu erwarten. Dass Lauterbach und die Kassen es dann nicht mehr allzu eilig haben würden, wohl auch. Im Grunde ist die Hängepartie ein Eingeständnis, wie in der Arzneimittelversorgung das Prinzip von Angebot und Nachfrage funktioniert: Nur wenn die Versorgung vor dem Kollaps steht, werden die Kassen geöffnet. Sobald die Gefahr scheinbar gebannt ist, reagiert wieder das Primat der Kassen.

Den Ärger haben jetzt die Hersteller und Apotheken. Mehrere Firmen hatten die Gelegenheit genutzt und ihre Preise um bis zu 76 Prozent erhöht. Sie müssen die Sache nun rückgängig machen – ansonsten zahlen die Eltern demnächst drauf.

Der Frust ist groß: „Nicht die Aussetzung des Festbetrages hat zur Entspannung geführt, sondern der massive Einsatz der Zentiva-Produktion“, sagt Josip Mestrovic, General Manager von Zentiva. „Auch der Einsatz der Ärzte und Apotheken sowie ein Abklingen der Kinder-Erkrankungen führten zur Entspannung der Situation. Es wurde und wird keine Packung des Ibuflam-Kindersaftes von Zentiva ins Ausland verkauft.“

Andreas Burkhardt, General Manager von Teva/Ratiopharm: „Um die strukturellen Problem zu lösen, die für die anhaltenden Engpässe verantwortlich sind, braucht es eine Reformierung mit Entschlossenheit und Konsequenz. Kurzfristige Maßnahmen, wie das dreimonatige Aussetzen der Festbeträge, verhallen wirkungslos. Ebenso wie ein saisonbedingter Rückgang der Nachfrage die Lage vielleicht kurzzeitig entspannt, aber das grundsätzliche Problem der Verknappung nicht löst.“ Stattdessen brauche es mehr Vielfalt im Markt, um die Versorgungssicherheit langfristig zu gewährleisten. Dafür bedürfe es einer Anpassung des Preissystems insgesamt – auch im Hinblick auf Rabattverträge, Preismoratorium oder die 4-G-Regel. Diesbezüglich gehe auch das ALBVVG in seiner jetzigen Form nicht weit genug.

Eine Geste – aber nicht mehr

Ähnlich skeptisch sind die Pharmaverbände: „Eine Aussetzung der Festbeträge für Kinderarzneimittel, wie sie der GKV-Spitzenverband auf Druck des BMG verfügt hat, war eine Geste – aber nicht mehr“, sagt Bork Bretthauer von Pro Generika. „Weder hat sie dazu geführt, dass mehr Fiebersaft produziert werden konnte, noch stellte sie einen Anreiz für Unternehmen dar, wieder in die Produktion einzusteigen. Dass sich die Engpass-Lage bei Fiebersaft entschärft hat, ist das Verdienst der Unternehmen, die seit Monaten rund um die Uhr produzieren und dafür alle Ressourcen mobilisiert haben. Und es ist der abklingenden Erkältungswelle geschuldet.“

Dr. Hans-Georg Feldmeier, Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), sagt: „Eine Entspannung der Versorgungslage nach der Infektionswelle war vorhersehbar. Grundsätzlich haben wir begrüßt, dass der Bundesgesundheitsminister bemüht gewesen ist, das akute Problem zu lösen, hielten diese befristete Maßnahme allerdings für ungeeignet. Die Aussetzung der Festbeträge – warum eigentlich nur für Kinderarzneimittel? – kam viel zu spät und die Begrenzung auf drei Monate kann kein wirksames Gegenmittel gegen die chronische Unterfinanzierung der Arzneimittelgrundversorgung sein.“

Es bleibe dabei: „Systeme, die über lange Zeit kaputtgespart wurden, können nicht in drei Monaten geheilt werden. Wir brauchen dagegen umfassende und langfristige Maßnahmen, die den Kostendruck in allen Bereichen der Grundversorgung senken und die verhindern, dass Erleichterungen an der einen Stelle durch Belastungen an der anderen Stelle wieder aufgehoben werden. Dazu gehören faire Preise, die die enormen Kostensteigerungen decken, Anbietervielfalt zur schnelleren Kompensation von Marktschwankungen und regulatorische Flexibilität. Diese Themen müssen in der neuen Gesetzesvorlage zum ALBVVG ausreichend Berücksichtigung finden, um die Probleme nachhaltig zu lösen.“

Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH), fordert zumindest eine Verlängerung der bisherigen Regelung: „Die Aussetzung der Festbeträge garantiert die Versorgung mit Arzneimitteln, auch unter dem Einfluss von Lieferengpässen. Diese Ausnahmeregelung hat sich in den letzten Wochen bewährt und sollte mindestens so lange bestehen, bis eine Anschlussregelung in Kraft tritt, die Arzneimittellieferengpässen wirksam entgegensteuert.“

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