Die AOK Sachsen-Anhalt verzichtet auf Nullretaxationen aufgrund fehlender Dosierhinweise. Vorangegangen waren längere Verhandlungen mit dem Landesapothekerverband (LAV). Allerdings gibt es Ausnahmen – und ab dem kommenden Jahr keine Gnade mehr.
Laut LAV wurde nach intensiven Verhandlungen eine Vereinbarung geschlossen: Die AOK verzichtet auf Retaxationen wegen fehlender Dosieranweisung – und zwar bis Ende 2022. Das betrifft auch bereits ausgesprochene Retaxationen; die Kasse hatte entsprechende Beanstandungen für das 4. Quartal 2021 bereits verschickt. Betroffen sind dem Vernehmen nach mehrere hundert Apotheken.
Allerdings weist die Kasse darauf hin, dass sie ab 2023 wieder Verordnungen, bei denen die Dosieranweisung fehlt, auf Null retaxieren will. Und: Die Vereinbarung mit dem LAV erstreckt sich nicht auf fehlende Gebrauchsanweisungen bei Rezepturen.
Seit Ende 2020 gehören Dosierhinweise zu den Pflichtangaben auf dem Rezept. Was aus pharmazeutischer Sicht berechtigt sein mag, entpuppt sich gerade als neuer Retax-Albtraum: Fehlen die Einnahmevorschriften oder der Hinweis „DJ“ (Dosierungsanweisung vorhanden: „ja“) auf dem Rezept, können die Kassen die Rezepte retaxieren. Eine Friedenspflicht war mehrfach verlängert worden. Doch seit einem Jahr gibt es kein Pardon mehr.
Auch die AOK Hessen sowie verschiedene Betriebskrankenkassen greifen seit einiger Zeit hart durch. Hat die Apotheke den von der Arztpraxis vergessenen Dosierhinweis übersehen, retaxieren sie den Abrechnungsbetrag auf Null. Andere Kassen lenken bei Widersprüchen (noch) ein oder kürzen nur um einen gewissen Betrag.
Bislang geht es vor allem um Rezepte aus dem vierten Quartal 2021 – die Apotheken stehen also womöglich erst am Beginn einer neuen Retaxwelle. Die Situation erinnert an die Zeit, als die Kassen T-Rezepte wegen fehlender Kreuze auf Null retaxierten. Damals wurden erst die Medien und dann die Politik auf das Problem aufmerksam – und am Ende wurden Retaxationen aufgrund von Formfehlern per Gesetz verboten.
Im APOTHEKE ADHOC Webinar räumte Holger Seyfarth, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbandes (HAV), ein, dass in den Verhandlungen seitens der Apothekerschaft auch Fehler gemacht wurden. In einem regulierten Markt wie dem Arzneimittelmarkt brauche man aber ein Gleichgewicht der Kräfte. „Man kann nicht einem Partner – den Krankenkassen – fast die Deutungshoheit überlassen und den anderen lässt man am ausgestreckten Arm verhungern, nach dem Motto: ‚Wenn du es nicht tust, tut es halt ein anderer.‘“
Seiner Meinung nach geht es darum, diese Verträge aufzuarbeiten und in letzter Konsequenz auch zu kündigen: Es könnten beispielsweise Übergangszeiträume vereinbart werden oder Sicherheitsklauseln, dass die Versorgung weiter stattfindet – schon wegen des Kontrahierungszwangs. Am Ende müssten dann eben Kostenvoranschläge geschrieben werden und die Kasse müsse vorher erklären, dass sie das Rezept bezahle. Den konkreten Weg auszuarbeiten, sei Sache der Juristen. Das sei der Plan B, wenn die Politik den Sachverhalt nicht geregelt bekomme.
Laut Seyfarth wäre tatsächlich die Politik am Zug, denn es gehe im Grundsatz um die Vorgaben der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV). Tatsächlich gibt es bereits Anzeichen dazu: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte für das kommende Jahr eine Regelung im Zusammenhang mit der Entbürokratisierung angekündigt. Und auch bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss waren Nullretaxationen ein Thema.
Viele Praxen wissen nach wie vor nichts von der Verpflichtung; vor allem bei Zahnärzten sind die geforderten Angaben selten. „Wir sehen so viele Fehler auf den Rezepten, es fehlen wichtige Angaben. Das ist eine gut gemeinte Sache, die leider handwerklich schlecht umgesetzt ist“, so Seyfarth.
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