Faules Ei im Osternest Patrick Hollstein, 27.03.2021 07:56 Uhr
Der Impfstoff ist knapp, die Menschen sind erschöpft, da kam man im Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf eine unkonventionelle Idee: Ein kleiner Ostergruß an die Apotheken soll den Engpass lösen und die allgemeine Stimmung heben. Und ablenken von der Maskenaffäre, in die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) weitaus tiefer verstrickt zu sein scheint als bislang zugegeben.
Ein Osternest pro Apotheke, konfektioniert und ausgeliefert vom Großhandel. Im Set: Sechs bebrütete Hühnereier und eine Wärmelampe, dazu ein wenig Ostergras zum Aussäen. Soll ja schick aussehen auf dem HV-Tisch. Eine singende Klappgrußkarte, unterzeichnet mit „Ihre Bundesregierung“, erklärt, was es mit der ungewöhnlichen Sendung auf sich hat.
Die Idee: Die Apotheken sollen die Produktion der Grippeimpfstoffe für die kommende Saison dezentral übernehmen – auf diese Weise werden alle Kapazitäten frei gemacht für die sofortige Produktion von Corona-Vakzin. In der Offizin sollen sich die Saatviren unter optimalen Bedingungen vermehren, am besten platziert man die Körbchen gut sichtbar für alle Wählerinnen und Wähler in der Nähe der Kassen.
Im Sommer kann dann „geerntet“ werden, auch das sollen die Apotheken direkt selbst übernehmen: Einfach das Eiklar abziehen und reinigen, mit einem Chemikalienmix aus dem Laborschrank nur noch eben die Viren inaktivieren, fertig ist der Impfstoff. Je nach Präferenz des Arztes oder der Ärztin kann hochdosierter oder regulärer quadrivalenter Impfstoff produziert werden. So steht es in der Anleitung.
Angenehmer Nebeneffekt: Die hochkomplexe Impfstofflogisitik entfällt, weil der Impfstoff ja vor Ort produziert wird. Keine Engpässe hier und Übervorräte dort, keine Überbestände am Ende der Saison, die auch noch extra vergütet werden muss. Eine nationale Reserve gibt es allerdings auch, für Anzucht und Produktion stellt Spahn persönlich einen Teil seines kleiner Berliner Immobilienportfolios zur Verfügung. Auf die Plätze, fertig, jetzt wird ausgebrütet.
Sie erahnen es längst, die Geschichte ist ausgedacht. Frei erfunden. Aber Ostern und Impfstoff waren die tatsächlich die bestimmenden Themen der Woche. Und im wirklichen Leben ging es tatsächlich noch ein wenig grotesker zu. Das Hin und Her mit dem Lockdown und die verlängerten Feiertage hat jeder mitbekommen, „Osterruhe“ hat schon jetzt beste Chancen, zum Unwort des Jahres gekürt zu werden.
Ein wenig Sorgen bereitete die Kanzlerin, die sichtlich angeschlagen direkt nach ihrem U-Turn zu den Beschlüssen der Ministerpräsidentennacht den Abgeordneten im Bundestag Rede und Antwort stehen musste. Sympathie hat ihr die freimütige Entschuldigung zwar eingebracht, aber natürlich hat die Sache trotzdem Vertrauen in der Bevölkerung gekostet. „Hat sie noch die Kraft, die Corona-Krise zu meistern?“, fragt die Bild-Zeitung.
„Hat sie das richtige Personal?“, lautet die eigentliche Frage, auf die man allerdings gar keine Antwort mehr suchen muss. Allwöchentlich sitzt der Gesundheitsminister in der Bundespressekonferenz und redet über die Krise, ohne etwas zu sagen. Impfen, Testen: Alles Sache der Länder. Der Bund (damit meint er sich) setzt doch nur den Rahmen, und der ist, wie Spahn findet, im Großen und Ganzen tipptopp. Ein merkwürdiges Verständnis von Exekutive. Aber es schützt.
Und so thront Spahn auch an diesem Freitag vor der berühmten hellblauen Wand, längst wissend, dass der „Spiegel“ später am Tag das Interview mit ihm über seine illustren Deals in den ersten Wochen der Pandemie bringen wird. Spahn hat sich für eine Vorwärtsstrategie entschlossen, spricht die Sache lieber selbst an, um so der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Wie durch ein Wunder ist die sogenannte Maskenaffäre bislang noch nicht über ihn hereingebrochen, obwohl ja gerade unter seiner Verantwortung, wie man nun weiß, für knapp eine Milliarde völlig überteuerte Schutzmasken bei einem dubiosen Schweizer Zwischenhändler bestellt wurden. Von Wild-West-Zuständen sprach er unlängst im Zusammenhang mit jenen Wochen – ein Bild, in dem bekanntlich derjenige überlebt, der schneller schießt.
Schon einmal hat Spahn es auf diese Weise versucht, damals im Sommer 2018, als er sich noch Hoffnungen machte, irgendwann Kanzler zu werden. In seiner Biografie wollte er proaktiv all jene Themen abräumen, die ihm gefährlich werden konnten. „So klug wie anrüchig – Ein Freundschaftsdienst mit Folgen“, lautete die Überschrift von Kapitel 6, in dem es um die Beziehung zu Max Müller ging.
Doch ausgerechnet diese DocMorris-Connection holt ihn nun ein. Denn im Frühjahr 2020 spricht Spahn, wie er im Spiegel-Interview verrät, mit Müller. Kurz darauf liefert die DocMorris-Tochter Centropharm mit Sitz in Aachen und Büro am Hausvogteiplatz tatsächlich Schutzmasken ans BMG. Nun interessiert sich sogar der Bundesrechnungshof für diesen Freundschaftsdienst. Ganz aus freien Stücken kommt das Geständnis im „Spiegel“ freilich nicht: Die FDP hat sich in einer Anfrage zu den Zusammenhängen erkundigt. Spahn sagt, mit der „klassischen Beschaffung über die zuständigen Ämter“ sei er damals nicht weiter gekommen, also habe er „Freunde und Bekannte“ angerufen. Fiege, Tandler. „Hier wird jeder gleich behandelt, auch wenn der Papst anruft.“
Es ist ein Offenbarungseid. Denn es sind jene Freunde und Bekannten, die immer wieder in Spahns Karriere auftauchen. Da wird er als Bundestagsabgeordneter Teilhaber einer Lobbyagentur und schreibt einen Meinungsbeitrag im Sinne eines Kunden. Da steigt er als Finanzstaatssekretär bei einem Anbieter von Steuersoftware ein. Da kauft er eine Wohnung von einem guten Bekannten, den er später zum Gematik-Chef macht. Spahns Fehltritte sind zahlreich; bislang war es eine Mischung aus Geschick und Glück, dass sie ihm nicht zum Verhängnis wurden. Doch nun kommt in der Maskenaffäre Stück für Stück ans Licht, dass nach wie vor die alten Seilschaften wirken. Wer den Skandal wirklich aufarbeiten will, fängt am besten beim Gesundheitsminister an.