Falsch deklariertes Desinfektionsmittel im Umlauf Alexandra Negt, 15.04.2020 09:58 Uhr
Apotheker Klaus Kogelheide war mehr als verwundert, als er zufällig feststellen musste, dass das bestellte Handdesinfektionsmittel wohl kaum die erforderliche Menge Alkohol enthalten würde, die für eine viruzide Wirkung nötig ist. Stutzig gemacht hat ihn der Geruch: Nach Erhalt der Ware öffnete er eine Flasche und prüfte olfaktorisch: „Deklariert war Ethanol denaturatum, das, was meine Nase da gerochen hat, war kein Ethanol.“ Die Überprüfung mittels Dichte sollte Licht ins Dunkel bringen: Die Fläschchen enthielten Isopropanol mit einem Gehalt von rund 40 Prozent – zu wenig, um gegen Sars-CoV-2 zu wirken. Der Hersteller gibt den Fehler zu. Dass auch andere Apotheken diese Charge erhalten haben, ist laut Aponovis wahrscheinlich auszuschließen.
Klaus Kogelheide war glücklich, als er endlich eine Möglichkeit fand, Handdesinfektionsmittel zu bestellen. Die klassischen Firmen wie Hartmann oder Schülke waren seit längerer Zeit nicht lieferfähig. Um dem Ansturm gerecht zu werden, orderte der Apotheker aus Witten direkt 14.000 Flaschen à 50 ml – „Apothekers Handdesinfektion“, so der Name des Produktes. „Da es sich um ein fertiges Produkt handelt, hätte ich von einer Öffnung der Flasche zur olfaktorischen Überprüfung absehen können, da ich den Hersteller aber zum ersten Mal in meiner Apotheke hatte, war ich einfach neugierig“, erzählt Kogelheide. Er traute dem vernommenen Geruch nicht und entschied sich für eine Identitätsprüfung im Labor. Auch das gewählte Gefahrenpiktogramm machte ihn stutzig. Auf der Flasche war nur eine Flamme vermerkt. Das Ausrufezeichen fehlte. Bei dem Desinfektionsmittel handelt es sich um einen Gefahrstoff, somit müssen auf dem Abgabegefäß beide Gefahrenpiktogramme GHS02 für „Entzündlich“ und GHS07 für „gesundheitsschädlich“ vorhanden sein.
Die Bestimmung erfolgte mittels Dichte. Das Ergebnis: Es war weniger Alkohol enthalten als deklariert. Zudem sei wohl Isopropanol anstatt Ethanol verwendet worden. „Aufgrund des Mindergehaltes ist die Deklaration der Lösung schlichtweg falsch“, ärgert sich der Apotheker, „die Lösung wird das Corona-Virus nicht abtöten.“ Die Dichte hat er stichprobenweise bestimmt. Alle überprüften Flaschen weisen den gleichen Mindergehalt auf. Laut Deklaration stammen alle Flaschen aus einer Produktionslinie. „Ich habe zwar noch nicht alle 14.000 Flaschen durchgeschaut, aber es ist davon auszugehen, dass alle Flaschen die gleiche Charge haben. Somit handelt es sich um eine falsch ausgezeichnete Chargengröße von mindestens 700 Litern.“ Angeblich seien 200 bis 500 Apotheken mit diesem Mittel beliefert worden. Kogelheide befürchtet, dass auch schon Flaschen an den Endkunden abgegeben worden sein könnten.
Nun sind die Flaschen gesperrt. Auf den Flaschen selbst ist Ethanol als Basis deklariert, laut Zertifikat des Herstellers soll Isopropanol enthalten sein. Nach Kogelheides Prüfung ist eins sicher: Isopropanol ist tatsächlich im Produkt enthalten, jedoch in einer geringeren Dosierung: „In unseren Stichproben haben wir meist einen Gehalt von 40 bis 60 Prozent ausmachen können.“ Auf eine Antwort des Anbieters wartet der Apotheker noch. Hergestellt wurde das Desinfektionsmittel von der Firma Aponovis. Das Unternehmen bezeichnet sich selbst als mittelständischen Partner der Apotheken. Zum Produktportfolio gehören neben kosmetischen Produkten auch Give-Aways zur Kundenbindung.
Auf Nachfrage beim Unternehmen gesteht Geschäfsführerin Kati Schumann den Fehler ein: „Ja, Herr Kogelheide hat recht damit, dass er nicht die Ware bekommen hat, die er bestellt hat.“ Das kleine Unternehmen stellt seit der Pandemie verschiedene Desinfektionsmittel her – darunter Varianten auf Ethanol- und auf Isopropanolbasis. „Mich erreichte die Nachricht von Herrn Kogelheide über die Osterfeiertage. Aktuell bin ich dabei herauszufinden, wo der Fehler liegt.“
Schumann ist sich bewusst, dass solch ein Fehler nicht passieren darf. Zurzeit untersucht sie zusammen mit ihren Mitarbeitern die Rückstellmuster und vermutet: „Es muss sich um einen Abfüllungsfehler handeln. Herr Kogelheide hat Flaschen mit falschem Inhalt bekommen.“ Als Hersteller für Kosmetika bietet Aponovis Desinfektions- und Handreinigungsmittel nach Kundenwunsch in den unterschiedlichsten Rezepturen an: „Unter anderem bieten wir auch ein Handreinigungsmittel mit 50 Prozent Isopropanol an. Im Moment gehen wir davon aus, dass diese Lösung versehentlich verfüllt worden ist anstatt der geforderten 72-prozentigen Lösung.“
Der Geschäftsführerin ist klar, dass die Deklaration somit nicht zum Inhalt passt und auch die Gefahrenkennzeichnung nicht ausreichend ist: „Ich bin mir bewusst, dass die Apotheke die Flaschen so nicht verkaufen darf. Ich bedauere das zutiefst.“ Schuman habe versucht Kontakt zum Apotheker aufzunehmen – nach eigenen Aussagen bis zum heutigen Nachmittag erfolglos. „Ich wollte ihm anbieten, die Ware zurückzunehmen und ihm entweder im Tausch die richtige Ware auszuliefern oder ihm sein Geld zu erstatten. Ich wollte mich wirklich kulant zeigen – der Fehler hätte nie passieren dürfen.“ Laut ihren Aussagen blieb ein weiteres Gespräch bislang aus.
Nun versucht die Geschäftsführerin herauszufinden, ob noch andere Apotheken mit der betreffenden Charge versorgt worden sind. „Aktuell sieht es ganz danach aus, dass Herr Kogelheide als einziger die Falschabfüllung erhalten hat. Die Lieferungen an die anderen Apotheken scheinen andere Chargen gewesen zu sein“, so Schumann, „die Rückverfolgung ist allerdings noch nicht vollständig abgeschlossen.“ Das Unternehmen betont, dass die Verwechslung keineswegs vorsätzlich erfolgte und einem gewissen Zeitdruck geschuldet sein könnte: „Auch bei uns ist es seit der Pandemie stressig. Das ist keine Entschuldigung, aber der wahrscheinlichste Grund für den Fehler.“
Schumann bedauert zum einen, dass der Apotheker direkt den Weg der Presse gewählt hat – bereits am 11. April sendete der WDR einen Beitrag über das fehlerhafte Desinfektionsmittel – zum anderen habe sich auch keiner vom Fernsehsender bei ihr oder einem ihrer Angestellten vorab gemeldet. „Direkt nach Bekanntwerden dieses Mangels hätten wir gern direkt mit dem Apotheker gesprochen, um ihm im Zuge des Nachbesserungsrechtes eine Neulieferung der Ware anzubieten. Natürlich hätten wir auch gerne die gesamte Situation erklärt, leider war der Apotheker für uns nicht zu sprechen. Am Samstag mussten wir dann über die Presse erfahren was uns „vorgeworfen“ wird.“
In diesem Fall scheinen zwei ungünstige Dinge aufeinander getroffen zu sein: ein fehlerhaftes Produkt und die Pandemie. Solche Fehler dürfen nicht, können aber passieren. Hierfür stellt jedes Unternehmen Rückstellmuster bereit. Schumann hofft, dass nicht allzu viele Kunden durch diesen Vorfall verunsichert wurden.
Der Apotheker stellt sein Desinfektionsmittel aktuell wieder selbst her, in Chargengrößen von 10 Litern – mehr Masse könne er seinen PTA nicht auf einmal zumuten. Die Pandemie hat bereits gezeigt, dass eine solche Ausnahmesituation auch Platz für schwarze Schafe bietet: Neben Schutzmasken, die nicht den deklarierten Schutz bieten und Schnelltests, die gefälscht oder absolut unsicher sind, wäre auch bei Desinfektionsmitteln an „gepanschte“ Ware zu denken. In diesem Fall handelte es sich jedoch wohl um ein Versehen.